Siemens Energy: Vom Sorgenkind zum Energiewende-Star? Aktie im Check

Milliardenverluste bei der Wind-Tochter Gamesa brachten Siemens Energy an den Rand des Abgrunds. Nach einer radikalen Sanierung wandelt sich der Konzern nun vom Sorgenkind zum breit aufgestellten Technologieführer der globalen Energiewende. Eine Analyse der beeindruckenden Wende.

Veröffentlicht am 29.06.2025

Die Bürde der Vergangenheit: Wie Siemens Gamesa den Konzern an den Rand des Abgrunds brachte

Um die heutige Situation von Siemens Energy zu verstehen, ist ein Blick zurück unerlässlich. Die vollständige Übernahme der spanischen Windkraft-Tochter Siemens Gamesa im Jahr 2022 sollte eigentlich einen strategischen Geniestreich darstellen und die Position als globaler Champion für erneuerbare Energien zementieren. Doch das Gegenteil trat ein. Die Integration offenbarte massive, tief verwurzelte Qualitätsprobleme bei bestimmten Onshore-Windturbinen-Plattformen. Defekte an Rotorblättern und Hauptlagern führten zu einer Welle von Gewährleistungsansprüchen und zwangen das Management zu milliardenschweren Rückstellungen.

Diese Probleme waren mehr als nur ein finanzielles Desaster. Sie erschütterten das Vertrauen von Kunden und Investoren in die technische Kompetenz des Konzerns, einem traditionellen Markenzeichen deutscher Ingenieurskunst. Die Aktie stürzte ab, und zeitweise musste sogar über die Notwendigkeit staatlicher Garantien diskutiert werden, um die Finanzstabilität des Unternehmens zu sichern. Siemens Gamesa wurde zur Achillesferse des gesamten Konzerns und überschattete die ansonsten soliden und profitablen Geschäftsbereiche.

Das Management zog die Reißleine. Ein radikaler Sanierungsplan wurde aufgelegt, der den Verkauf bestimmter Onshore-Märkte, eine Fokussierung auf profitablere Geschäftsfelder wie das Offshore- und Service-Geschäft sowie einen umfassenden Qualitätscheck der gesamten Produktpalette beinhaltete. Diese schmerzhaften, aber notwendigen Schritte bilden die Grundlage für den heute sichtbaren Turnaround.

Die strategische Neuausrichtung: Ein Gigant erfindet sich neu

Während die Schlagzeilen von den Problemen bei Gamesa dominiert wurden, arbeitete das Management im Hintergrund an einer tiefgreifenden strategischen Neuausrichtung des gesamten Konzerns. Siemens Energy positioniert sich heute nicht mehr nur als Hersteller von Turbinen, sondern als umfassender Technologiepartner für die Dekarbonisierung. Das Portfolio erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette der Energie – von der Erzeugung über die Übertragung und Speicherung bis hin zum Verbrauch.

Die Unternehmensstruktur gliedert sich im Wesentlichen in drei große Säulen:

  1. Gas Services, Grid Technologies, Transformation of Industry: Dieser Bereich ist das traditionelle, hochprofitable Herzstück des Unternehmens. Er umfasst Gas- und Dampfturbinen, die als Brückentechnologie weiterhin eine entscheidende Rolle für die Netzstabilität spielen, sowie das Geschäft mit Netztechnologien. Letzteres ist ein heimlicher Gewinner der Energiewende. Denn je mehr volatile erneuerbare Energien ins Netz eingespeist werden, desto dringender werden intelligente Trafostationen, Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) und digitale Lösungen zur Steuerung der Stromnetze benötigt. Siemens Energy ist hier Weltmarktführer.
  2. Siemens Gamesa (Windenergie): Nach der schmerzhaften Sanierung liegt der Fokus nun klar auf Qualität und Profitabilität. Das Unternehmen konzentriert sich auf ausgewählte Kernmärkte und stärkt seine führende Position im wachstumsstarken Offshore-Windmarkt. Die Nachfrage nach riesigen Windparks auf dem Meer ist ungebrochen hoch, da sie eine konstante und planbare Stromerzeugung ermöglichen.
  3. Zukunftstechnologien (Wasserstoff): Siemens Energy hat frühzeitig das immense Potenzial von grünem Wasserstoff als Energieträger der Zukunft erkannt. Das Unternehmen entwickelt und produziert Elektrolyseure im industriellen Maßstab, die mit Hilfe von Ökostrom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff spalten. Partnerschaften, wie die mit der Messer Group, und die Beteiligung an globalen Großprojekten unterstreichen den Anspruch, auch in diesem Zukunftsmarkt eine führende Rolle zu spielen.

Diese breite Aufstellung ist der entscheidende Wettbewerbsvorteil. Während reine Windkrafthersteller wie Vestas stark von den Zyklen ihres Marktes abhängig sind, kann Siemens Energy Schwankungen in einem Bereich durch Stärke in einem anderen ausgleichen. Mehr als die Hälfte des Portfolios gilt bereits heute als dekarbonisiert, und ein Sechstel der weltweiten Stromerzeugung basiert auf Technologien des Konzerns.

Zwischenbilanz Mitte 2025: Wo steht Siemens Energy heute?

Im Juni 2025 präsentiert sich Siemens Energy als ein deutlich stabilisiertes Unternehmen. Die harten Restrukturierungsmaßnahmen bei Siemens Gamesa zeigen Wirkung. Die Qualitätsprobleme scheinen unter Kontrolle, auch wenn das Thema die Bilanz noch eine Weile belasten wird. Wichtiger ist jedoch, dass die anderen Geschäftsbereiche, insbesondere Grid Technologies, hervorragend laufen und hohe Auftragsbestände verzeichnen. Der Umbau der globalen Stromnetze ist in vollem Gange und spült verlässlich Geld in die Kassen.

Diese operative Verbesserung spiegelt sich auch im Aktienkurs wider, der sich von seinen Tiefstständen deutlich erholt hat. Analysten, die das Unternehmen lange Zeit mit Skepsis betrachteten, passen ihre Einschätzungen zunehmend nach oben an. Die Erzählung wandelt sich von einer reinen Sanierungs-Story zu einer Wachstums-Story, getrieben vom unaufhaltsamen Megatrend der Energiewende. Die Verschuldung ist zwar nach wie vor ein Thema, doch die verbesserte Profitabilität und der stabile Cashflow aus dem Service- und Netzgeschäft geben dem Management wieder mehr Handlungsspielraum.

Fakt Beschreibung
Hauptsitz München, Deutschland
CEO Christian Bruch
Mitarbeiterzahl ca. 94.000 in über 90 Ländern (Stand Ende 2024)
Börsenkürzel / ISIN ENR / DE000ENER6Y0
Kernsegmente Gas Services, Grid Technologies, Transformation of Industry, Siemens Gamesa
Marktposition Technologie von Siemens Energy ist an ca. 1/6 der globalen Stromerzeugung beteiligt
Zukunftsfeld Führender Anbieter von Elektrolyse-Technologie für grünen Wasserstoff

Chancen und Risiken für Anleger: Eine nüchterne Abwägung

Trotz der positiven Entwicklung bleibt eine Investition in Siemens Energy eine Wette auf die Zukunft, die mit klaren Chancen, aber auch mit handfesten Risiken verbunden ist.

Die größten Chancen:

  • Der Megatrend Energiewende: Die Welt muss dekarbonisieren. Siemens Energy bietet nahezu das gesamte technologische Spektrum, das für diese Transformation benötigt wird. Das Marktwachstum ist auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, gesichert.
  • Umfassendes Portfolio: Die Kombination aus stabilen, profitablen Geschäftsbereichen (Grid, Gas Service) und hochdynamischen Wachstumsfeldern (Offshore-Wind, Wasserstoff) schafft ein ausbalanciertes Profil, das Wettbewerber so nicht bieten können.
  • Technologieführerschaft: Insbesondere bei HGÜ-Leitungen, im Service-Geschäft und bei Offshore-Windanlagen gehört der Konzern zur Weltspitze. Diese Position sichert Preissetzungsmacht und langfristige Kundenbeziehungen.
  • Turnaround-Potenzial: Gelingt die vollständige Sanierung von Siemens Gamesa und erreicht der Bereich wieder nachhaltige Profitabilität, schlummert hier noch erhebliches Neubewertungspotenzial für die gesamte Aktie.

Die größten Risiken:

  • Execution Risk bei Gamesa: Die Sanierung ist ein Marathon, kein Sprint. Neue technische Probleme oder Verzögerungen bei der Umsetzung der Maßnahmen könnten jederzeit zu neuen Rückschlägen führen.
  • Intensiver Wettbewerb: Sowohl im Windgeschäft (Vestas, GE, chinesische Anbieter) als auch bei Netztechnologien (ABB, Schneider Electric) ist der Wettbewerb hart. Der Preis- und Innovationsdruck bleibt hoch.
  • Politische Abhängigkeit: Der Ausbau erneuerbarer Energien und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sind stark von politischen Rahmenbedingungen und Förderprogrammen abhängig. Änderungen in der Gesetzgebung können Projekte verzögern oder unrentabel machen.
  • Geopolitische Unsicherheiten: Als global agierender Konzern ist Siemens Energy von Handelskonflikten, Lieferkettenproblemen und regionalen Krisen direkt betroffen.

Ausblick und Fazit: Ist die Siemens Energy-Aktie jetzt ein Kauf?

Siemens Energy hat eine bemerkenswerte Transformation durchlaufen. Das Management hat die Krise bei Gamesa genutzt, um den Konzern konsequent auf die größten Wachstumstreiber des 21. Jahrhunderts auszurichten: die Elektrifizierung und Dekarbonisierung unserer Welt. Die strategische Logik ist überzeugend, und die operative Stabilisierung ist ein klares Indiz dafür, dass die eingeleiteten Maßnahmen greifen.

Eine Investition ist dennoch kein Selbstläufer. Die Aktie ist und bleibt für Anleger geeignet, die einen langen Atem und eine gewisse Risikotoleranz mitbringen. Die Volatilität dürfte hoch bleiben, und Rückschläge sind jederzeit möglich. Wer jedoch an die unaufhaltsame Dynamik der Energiewende glaubt und nach einem Unternehmen sucht, das diese wie kaum ein anderes mitgestaltet, findet in Siemens Energy einen "Pure-Play"-Wert mit erheblichem langfristigem Potenzial.

Die Frage ist nicht mehr, *ob* Siemens Energy eine zentrale Rolle in der Energiezukunft spielen wird, sondern *wie profitabel* das Unternehmen diesen Weg gestalten kann. Gelingt es, die Probleme bei Gamesa endgültig hinter sich zu lassen und die Stärken in den anderen Bereichen voll auszuspielen, könnte die Aktie ihren Weg vom Sorgenkind zum gefeierten Energiewende-Star erfolgreich fortsetzen. Für Anleger, die bereit sind, die verbleibenden Risiken zu tragen, könnte der aktuelle Zeitpunkt eine attraktive Gelegenheit sein, an dieser faszinierenden Geschichte zu partizipieren.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

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