Der unaufhaltsame Wandel: Vom Lizenzmodell zur Cloud
Jahrzehntelang basierte der Erfolg von SAP auf einem einfachen, aber äußerst lukrativen Modell: dem Verkauf von Lizenzen für On-Premises-Software. Unternehmen kauften die Software einmalig und installierten sie auf ihren eigenen Servern. Hinzu kamen jährliche Wartungsgebühren, die für einen stetigen, berechenbaren Cashflow sorgten. Dieses Modell schuf eine enorme Kundenbindung, führte aber auch zu langen Innovationszyklen und hohen Einstiegshürden für Neukunden.
Die Cloud hat diese Welt auf den Kopf gestellt. Statt hoher Einmalinvestitionen zahlen Kunden heute flexible Abonnementgebühren (Software-as-a-Service, SaaS). Das senkt die Hürden, ermöglicht eine schnellere Skalierung und gibt Zugang zu kontinuierlichen Innovationen. Für SAP bedeutet dies den Übergang zu wiederkehrenden Umsätzen, die von Analysten und Investoren hochgeschätzt werden, da sie eine bessere Planbarkeit versprechen. Um diesen Wandel zu orchestrieren, hat SAP zwei zentrale Programme geschaffen:
- RISE with SAP: Dieses Angebot richtet sich an Großunternehmen und Konzerne. Es bündelt die Migration zur modernen ERP-Suite S/4HANA Cloud mit Infrastruktur, Services und Werkzeugen zu einem einzigen Vertrag. Kunden können dabei wählen, ob sie ihre Systeme in einer Private Cloud oder bei einem der großen Hyperscaler (wie Amazon Web Services, Microsoft Azure oder Google Cloud) betreiben möchten. Der Fokus liegt auf einer maßgeschneiderten Transformation bestehender, komplexer Systemlandschaften.
- GROW with SAP: Dieses Programm zielt auf den Mittelstand und Neukunden ab. Es bietet eine standardisierte, schnell implementierbare Public-Cloud-Lösung. Mit GROW will SAP seine Marktdurchdringung im agilen und schnell wachsenden Mid-Market-Segment deutlich ausbauen und neuen Wettbewerbern wie Salesforce oder Oracle NetSuite Paroli bieten.
Dieser strategische Umbau verändert alles: von der Produktentwicklung über den Vertrieb bis hin zur Unternehmenskultur. Der Fokus liegt nicht mehr auf dem einmaligen Verkauf, sondern auf dem langfristigen Erfolg des Kunden und der kontinuierlichen Nutzung der Services.
S/4HANA und die Deadline 2027: Der Motor der Transformation
Im Zentrum der Transformation steht S/4HANA, die neueste Generation der SAP-Unternehmenssoftware. Sie ist von Grund auf für die In-Memory-Datenbank SAP HANA konzipiert, was Analysen in Echtzeit und deutlich schnellere Geschäftsprozesse ermöglicht. Doch der eigentliche Treiber für die Cloud-Migration ist eine unumstößliche Frist: Die Wartung für die weit verbreitete Vorgängergeneration, die SAP Business Suite 7 (inklusive des Kernprodukts ECC 6.0), läuft 2027 endgültig aus. Optionale, aber teure erweiterte Wartung ist nur bis 2030 verfügbar.
Diese Deadline erzeugt einen enormen Handlungsdruck auf Tausende von Bestandskunden. Ein Weiterbetrieb der Altsysteme ohne Herstellersupport ist für die meisten systemkritischen Anwendungen undenkbar. Die Migration zu S/4HANA ist somit keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit. SAP nutzt diesen Umstand geschickt, um die Kunden direkt in die Cloud zu lenken. Zwar ist S/4HANA auch als On-Premises-Version verfügbar, doch die attraktivsten Innovationen, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz, werden primär oder exklusiv in der Cloud-Version angeboten.
Dieser "Migrationsstau" ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits sichert er SAP auf Jahre hinaus ein enormes Projektgeschäft. Andererseits birgt er das Risiko, dass Kunden überfordert sind und die Komplexität der Umstellung unterschätzen. Aktuellen Schätzungen zufolge läuft mehr als die Hälfte der SAP-Bestandskunden Gefahr, die Frist von 2027 zu verpassen, was eine Welle von beschleunigten, aber auch risikoreichen Projekten in den kommenden zwei Jahren auslösen dürfte.
Die Cloud in Zahlen: SAPs neue Erfolgsformel?
Die finanzielle Bilanz der Transformation zeigt bereits deutliche Erfolge. Der Cloud-Umsatz wächst seit Jahren prozentual zweistellig und ist zur wichtigsten Erlösquelle des Konzerns aufgestiegen. Der sogenannte "Cloud Backlog", der die vertraglich zugesicherten, zukünftigen Cloud-Umsätze abbildet, ist ein zentraler Indikator für die Zukunftsfähigkeit des Geschäfts und erreicht regelmäßig neue Rekordhöhen.
Für das Geschäftsjahr 2025 prognostiziert SAP einen Non-IFRS Cloud-Gewinn von rund 16,2 Milliarden Euro und einen beeindruckenden Free Cashflow von etwa 8 Milliarden Euro. Diese Zahlen signalisieren, dass die Transformation nicht nur strategisch richtig, sondern auch finanziell nachhaltig ist. Die anfängliche Margenverdünnung durch den Wechsel vom Lizenz- zum Abonnementmodell scheint überwunden.
Die Akzeptanz der neuen Angebote im Markt untermauert diesen Trend. Eine Umfrage aus dem Frühjahr 2025 ergab, dass bereits 48 % der SAP-Anwenderunternehmen sich für RISE with SAP entschieden haben oder dies fest planen – ein gewaltiger Sprung von nur 16 % im Vorjahr. Dies zeigt, dass die Botschaft im Markt ankommt und die Kunden den Weg in die Cloud mitgehen.
Fakt | Beschreibung |
Zentrale Cloud-Programme | RISE with SAP (Großunternehmen), GROW with SAP (Mittelstand) |
Kerntechnologie | SAP S/4HANA Cloud (Nachfolger von ERP ECC 6.0) |
Kritische Deadline | Wartungsende für Altsysteme im Jahr 2027 |
Finanzprognose 2025 | ~8 Mrd. € Free Cashflow, ~16,2 Mrd. € Cloud-Gewinn (Non-IFRS) |
Wichtigster Innovationstreiber | Künstliche Intelligenz (z.B. KI-Assistent Joule) |
Hauptwettbewerber | Oracle, Microsoft, Salesforce, Workday |
Künstliche Intelligenz als nächster Wachstumstreiber
Während die Cloud-Migration das Geschäft der Gegenwart und nahen Zukunft bestimmt, ist Künstliche Intelligenz (KI) der entscheidende Hebel für zukünftiges Wachstum. SAP integriert KI-Funktionen tief in seine Cloud-Anwendungen, um Prozesse zu automatisieren, Prognosen zu verbessern und die Nutzererfahrung zu revolutionieren. Das prominenteste Beispiel ist "Joule", ein generativer KI-Assistent, der als Co-Pilot in der gesamten SAP-Software-Suite fungiert. Joule kann natürliche Sprache verstehen, Berichte erstellen, Transaktionen anstoßen und kontextbezogene Empfehlungen geben.
Die Strategie ist klar: KI soll kein Add-on sein, sondern ein integraler Bestandteil der Geschäftsprozesse, die über SAP laufen. Für Kunden ist dies ein starkes Argument, in die S/4HANA Cloud zu wechseln, da nur dort das volle Potenzial dieser neuen Technologien ausgeschöpft werden kann. SAP positioniert sich damit nicht nur als Anbieter von Transaktionssystemen, sondern als Partner für die intelligente, datengesteuerte Unternehmensführung.
Herausforderungen und Risiken auf dem Weg in die Wolke
Trotz der positiven Dynamik ist der Weg in die Cloud kein Selbstläufer. Die Transformation birgt erhebliche Risiken – sowohl für SAP als auch für seine Kunden. Auf Kundenseite sind Migrationsprojekte oft komplex, teuer und zeitintensiv. Sie erfordern nicht nur technisches Know-how, sondern auch ein umfassendes Change Management, um Mitarbeiter auf die neuen Prozesse vorzubereiten. Zudem wachsen die Bedenken hinsichtlich Datensicherheit und einer zu starken Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter (Vendor-Lock-in).
Für SAP selbst ist der Wettbewerb härter als je zuvor. Globale Tech-Giganten wie Microsoft mit seiner Dynamics-365-Plattform und Oracle mit Fusion Cloud ERP greifen aggressiv an. Sie können oft eine breitere Plattform und eine schnellere Innovationsgeschwindigkeit in bestimmten Nischen vorweisen. SAP muss beweisen, dass seine Stärke – die tiefe Integration von End-to-End-Geschäftsprozessen – auch im Zeitalter agiler Cloud-Architekturen der entscheidende Vorteil bleibt. Intern führt der Wandel zu erheblichen Restrukturierungen. Während Stellen in traditionellen Bereichen abgebaut werden, investiert SAP massiv in Cloud- und KI-Spezialisten. Dieser Kulturwandel muss sorgfältig gemanagt werden, um die Motivation und das wertvolle Wissen der Belegschaft zu erhalten.
Die SAP-Aktie im Wandel: Ein Wert für das Depot?
Für Anleger stellt sich die Frage, ob die SAP-Aktie nach der starken Kursentwicklung der letzten Jahre noch Potenzial hat. Die Argumente der Befürworter sind überzeugend: Das Geschäftsmodell wird durch die steigenden, wiederkehrenden Cloud-Umsätze stabiler und berechenbarer. Die Deadline 2027 wirkt wie ein eingebauter Nachfrageturbo. Die hohen Wechselkosten für Bestandskunden schaffen einen tiefen Burggraben, der Wettbewerber auf Abstand hält. Zudem verspricht die KI-Integration neue Wachstumsphantasie.
Kritiker weisen jedoch auf die hohe Bewertung der Aktie hin, die bereits viel von diesem Erfolg einpreist. Jeder operative Fehltritt bei der Bewältigung der Migrationswelle oder ein stärker als erwarteter Konkurrenzdruck könnte den Kurs empfindlich treffen. Dennoch spricht der prognostizierte starke Free Cashflow dafür, dass SAP auch in Zukunft ein verlässlicher Dividendenzahler bleiben wird, was die Aktie für langfristig orientierte Anleger attraktiv macht.
Fazit: Ist SAP weiterhin ein unverzichtbarer Wert?
Die Cloud-Transformation von SAP ist ein beeindruckendes Beispiel für den Mut eines etablierten Marktführers, sein eigenes Erfolgsmodell radikal zu hinterfragen und sich für die Zukunft neu aufzustellen. Die Strategie ist riskant, aber alternativlos. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass der eingeschlagene Weg der richtige ist. SAP gelingt es, seine immense installierte Kundenbasis in die neue Welt zu überführen und gleichzeitig mit innovativen Angeboten für Neukunden attraktiv zu sein.
Damit beantwortet sich die Eingangsfrage: Ja, SAP ist auf dem besten Weg, seine Position als unverzichtbarer Wert zu festigen. Das Unternehmen ist nicht mehr nur ein deutscher Software-Champion, sondern ein globaler Cloud-Konzern, der die digitale Infrastruktur der Weltwirtschaft maßgeblich mitgestaltet. Für Unternehmen bleibt SAP das Nervensystem ihrer kritischen Prozesse, und für Anleger bietet die Aktie eine seltene Kombination aus Stabilität, Dividende und technologischem Wachstumspotenzial. Die kommenden Jahre bis zur Deadline 2027 werden die entscheidende Bewährungsprobe, aber SAP hat die Weichen gestellt, um auch im Cloud-Zeitalter eine führende Rolle zu spielen.