Delivery Hero: Turnaround in Reichweite? Analyse des Börsen-Verlierers

Vom gefeierten DAX-Star zum tiefen Fall: Delivery Hero hat eine beispiellose Achterbahnfahrt hinter sich. Nach einem radikalen Strategieschwenk hin zur Profitabilität kämpft der Konzern um das Vertrauen der Anleger. Ist die Turnaround-Story eine neue Chance für die Aktie?

Veröffentlicht am 03.07.2025

Der steile Aufstieg und der tiefe Fall

Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist ein Blick in die Vergangenheit unerlässlich. Als Delivery Hero am 30. Juni 2017 an die Frankfurter Börse ging, war die Stimmung euphorisch. Die Aktie wurde zu 25,50 Euro platziert, was dem Unternehmen auf Anhieb eine Bewertung von 4,4 Milliarden Euro einbrachte. In den folgenden Jahren kannte der Kurs nur eine Richtung: nach oben. Angetrieben von einer aggressiven globalen Expansionsstrategie, zahlreichen Übernahmen und einer Welt, die sich zunehmend an Online-Bestellungen gewöhnte, schien dem Wachstum keine Grenze gesetzt.

Der Höhepunkt wurde während der Corona-Pandemie erreicht. Lockdowns und geschlossene Restaurants katapultierten das Geschäft der Lieferdienste in neue Sphären. Im Jahr 2021 erreichte die Marktkapitalisierung von Delivery Hero einen schwindelerregenden Höchststand von rund 29 Milliarden Euro. Das Unternehmen war ein gefeiertes Mitglied im DAX, ein Symbol für den digitalen Wandel in Deutschland.

Doch der Wind drehte sich abrupt. Steigende Zinsen beendeten die Ära des billigen Geldes, und das Pendel an den Märkten schwang von "Wachstum um jeden Preis" zu "Profitabilität" um. Plötzlich standen die Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand, die enorme Summen verbrannten, um Marktanteile zu gewinnen. Delivery Hero war hierfür ein Paradebeispiel. Die enormen operativen Verluste, der hohe Cash-Burn und die wachsende Unsicherheit, ob das Geschäftsmodell jemals nachhaltig Geld verdienen kann, führten zu einem massiven Vertrauensverlust. Der Aktienkurs kollabierte und fiel bis Mitte 2025 auf eine Marktkapitalisierung von unter 7 Milliarden Euro – ein dramatischer Wertverlust, der den Abstieg aus dem DAX besiegelte.

Das Geschäftsmodell im Wandel: Von Pizzen zu Supermärkten im Minutentakt

Ein wesentlicher Grund für die hohen Verluste war eine strategische Weichenstellung. Delivery Hero entwickelte sich von einer reinen Vermittlungsplattform, die Restaurants mit Kunden verbindet, zu einem umfassenden Logistikanbieter im Bereich "Quick Commerce" (Q-Commerce). Das Versprechen: Nicht nur Restaurantessen, sondern auch Lebensmittel und Alltagsprodukte innerhalb von Minuten bis an die Haustür zu liefern.

Diese Vision erforderte gigantische Investitionen. Statt nur auf die Infrastruktur von Restaurants zurückzugreifen, baute das Unternehmen ein eigenes Netz aus kleinen, lokalen Warenlagern, den sogenannten "D-Marts". Tausende Fahrer mussten angestellt und eine komplexe Logistikkette aufgebaut werden. Während der Umsatz durch Q-Commerce zwar stieg, explodierten die Kosten und belasteten die Margen massiv. Der intensive Wettbewerb in diesem Segment, insbesondere in den europäischen Märkten, führte zu Preiskämpfen und hohen Marketingausgaben, die die Profitabilität in weite Ferne rücken ließen.

Die Wende? Maßnahmen für den Turnaround

Angesichts des Kursverfalls und des wachsenden Drucks der Investoren zog das Management unter CEO Niklas Östberg die Notbremse und leitete eine 180-Grad-Wende ein. Der Fokus verlagerte sich radikal von aggressivem Wachstum hin zu Kapitaldisziplin und dem Erreichen der Gewinnschwelle. Die Ergebnisse dieser Neuausrichtung sind mittlerweile sichtbar und bilden die Grundlage für die aktuelle Turnaround-Hoffnung.

Die wichtigsten Schritte waren:

  • Fokus auf Profitabilität: Das Unternehmen hat sich aus unprofitablen Märkten zurückgezogen oder Beteiligungen verkauft. Ein prominentes Beispiel ist der Verkauf des Taiwan-Geschäfts, der frisches Kapital in die Kassen spülte.
  • Erreichen des Break-even: Ein Meilenstein wurde 2024 erreicht, als Delivery Hero erstmals einen positiven Free Cash Flow (FCF) auswies. Für das Gesamtjahr 2024 wurde ein bereinigtes operatives Ergebnis (adj. EBITDA) von 725 bis 775 Millionen Euro prognostiziert – nach Jahren tiefroter Zahlen eine beeindruckende Leistung.
  • Verbesserung der Kapitalstruktur: Mit liquiden Mitteln von rund 1,8 Milliarden Euro (Stand Mitte 2024) und einer erfolgreichen Refinanzierung von Verbindlichkeiten hat das Unternehmen seine Bilanz stabilisiert. Teile der Mittel wurden sogar für den Rückkauf von Wandelanleihen genutzt, um die Schuldenlast zu reduzieren und das Vertrauen zu stärken.

Diese Maßnahmen zeigen, dass das Management es ernst meint mit dem Wandel. Das Unternehmen hat bewiesen, dass es in der Lage ist, den Geldhahn zuzudrehen und profitabel zu wirtschaften. Eine Trendwende, die auch bei anderen Tech-Unternehmen zu beobachten ist.

Die globale Landkarte von Delivery Hero: Wo die Musik spielt

Obwohl Delivery Hero ein deutsches Unternehmen ist, findet das Kerngeschäft längst woanders statt. Der Konzern ist in über 70 Ländern aktiv, doch die Profitabilitätstreiber liegen klar in Asien sowie im Nahen Osten und Nordafrika (MENA). Insbesondere die Tochtergesellschaft `talabat` in der MENA-Region gilt als das Kronjuwel des Konzerns. Sie ist in ihren Märkten dominant und hochprofitabel.

Ein entscheidender Katalysator für die Zukunft könnte der geplante Börsengang von `talabat` sein, der für das vierte Quartal 2024 in Dubai anvisiert wurde. Ein solcher Schritt würde nicht nur erhebliches Kapital freisetzen, sondern auch den wahren Wert dieses Geschäftsbereichs für alle sichtbar machen. Analysten gehen davon aus, dass allein der Wert von `talabat` einen signifikanten Teil der aktuellen Gesamtbewertung von Delivery Hero ausmachen könnte. Der Börsengang würde dem Markt zeigen, dass der Konzern mehr ist als nur ein Sammelsurium verlustreicher Aktivitäten.

Der Wettbewerb schläft nicht

Trotz der positiven Entwicklungen bleibt das Umfeld herausfordernd. Der Wettbewerb im Liefersektor ist gnadenlos. Globale Giganten wie Uber Eats und DoorDash sowie europäische Konkurrenten wie Just Eat Takeaway kämpfen mit harten Bandagen um jeden Kunden. Dieser Wettbewerbsdruck begrenzt die Preissetzungsmacht und zwingt die Unternehmen weiterhin zu hohen Ausgaben für Marketing und Subventionen, um Kunden bei Laune zu halten.

Im Vergleich zu Wettbewerbern wie DoorDash oder Uber ist Delivery Hero an der Börse aktuell deutlich niedriger bewertet. Dies spiegelt einerseits die Skepsis des Marktes wider, ob die Profitabilität nachhaltig ist, bietet aber andererseits auch eine Chance. Gelingt der Beweis, dass das Geschäftsmodell dauerhaft Geld verdienen kann, besteht erhebliches Aufholpotenzial bei der Bewertung.

Fakt Beschreibung
Gründung 2011 in Berlin, Deutschland
Börsengang 30. Juni 2017 zum Preis von 25,50 € pro Aktie
Höchstbewertung ca. 29 Mrd. € (2021)
Aktuelle Bewertung ca. 6,98 Mrd. € (Stand Juli 2025)
Schlüsselmärkte Asien, Naher Osten & Nordafrika (MENA), Europa, Lateinamerika
Profitabilitätsziel 2024 Adj. EBITDA von 725-775 Mio. €, positiver Free Cash Flow
Wichtigste Tochter `talabat` (MENA-Region)
Hauptkonkurrenten Uber Eats, DoorDash, Just Eat Takeaway

Chancen und Risiken: Eine nüchterne Bilanz

Für Anleger, die über ein Investment in Delivery Hero nachdenken, ergibt sich ein gemischtes Bild, das eine sorgfältige Abwägung erfordert.

Die Chancen:

  1. Erfolgreicher Strategiewechsel: Das Unternehmen hat bewiesen, dass es den Schalter umlegen und profitabel wirtschaften kann. Der Fokus auf Cashflow und Ergebnis ist der richtige Weg, um das Vertrauen des Kapitalmarktes zurückzugewinnen.
  2. Starke Marktpositionen: In seinen Kernregionen, insbesondere mit `talabat` im Nahen Osten, ist Delivery Hero hervorragend positioniert und profitiert von wachsenden und jungen Bevölkerungen.
  3. Potenzieller Werttreiber `talabat`-Börsengang: Ein erfolgreicher IPO der Nahost-Tochter könnte verborgene Werte heben und die finanzielle Flexibilität des Konzerns weiter erhöhen.
  4. Günstige Bewertung: Im historischen Vergleich und im Vergleich zu einigen Wettbewerbern ist die Aktie niedrig bewertet. Gelingt der Turnaround, besteht erhebliches Kurspotenzial.

Die Risiken:

  1. Intensiver Wettbewerb: Der Preisdruck in der Branche bleibt hoch und könnte die Margen auch in Zukunft belasten. Eine neue Runde von Preiskämpfen kann nicht ausgeschlossen werden.
  2. Regulatorische Unsicherheiten: Die Arbeitsbedingungen von Fahrern und der Status von Gig-Economy-Arbeitern sind weltweit ein Thema für Regulierungsbehörden. Strengere Gesetze könnten das Kostenmodell belasten.
  3. Makroökonomische Faktoren: Als Konsumwert ist Delivery Hero von der Kaufkraft der Verbraucher abhängig. Eine wirtschaftliche Abschwächung könnte die Bestellfrequenz und die durchschnittlichen Warenkörbe negativ beeinflussen.
  4. Abhängigkeit von Schlüsselmärkten: Die hohe Konzentration der Profitabilität auf wenige Regionen birgt ein Klumpenrisiko. Politische oder wirtschaftliche Instabilität in diesen Märkten könnte den Konzern empfindlich treffen.

Fazit: Ist die Delivery Hero-Aktie jetzt ein Kauf?

Delivery Hero hat eine bemerkenswerte Transformation von einer reinen Wachstumsstory zu einer Turnaround-Story vollzogen. Die Zeit des unkontrollierten Geldverbrennens scheint vorbei zu sein. Das Management hat durch konkrete Maßnahmen bewiesen, dass Profitabilität erreichbar ist, und die Bilanz wurde entscheidend gestärkt. Die Aktie ist nicht mehr das hochriskante "Alles-oder-Nichts"-Investment, das sie auf dem Tiefpunkt der Krise war.

Dennoch ist der Weg nicht frei von Hindernissen. Der Wettbewerb bleibt hart, und regulatorische sowie makroökonomische Risiken bestehen fort. Der Erfolg des Turnarounds ist noch nicht in Stein gemeißelt, sondern muss in den kommenden Quartalen nachhaltig unter Beweis gestellt werden.

Für Anleger bedeutet dies: Die Investmentthese hat sich grundlegend geändert. Wer heute in Delivery Hero investiert, wettet nicht mehr auf exponentielles Wachstum, sondern auf die Fähigkeit des Managements, ein globales, komplexes Geschäft nachhaltig profitabel zu führen. Die Chancen dafür stehen besser als je zuvor, doch die Risiken sind nicht zu ignorieren. Die kommenden Monate, insbesondere im Hinblick auf den `talabat`-Börsengang und die weitere Ergebnisentwicklung, werden entscheidend sein, um zu beurteilen, ob der einstige Verlierer tatsächlich das Zeug zum dauerhaften Gewinner hat.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

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