Bayer: Vom Problemfall zum Wertriesen? Der Weg zur Renaissance

Bayer am Wendepunkt: Belastet von der Monsanto-Übernahme, kämpft der Konzern unter neuer Führung um den Turnaround. Eine Analyse der Restrukturierung, der starken Sparten und der entscheidenden Frage: Aufspaltung oder integrierter Konzern?

Veröffentlicht am 04.07.2025

Die Bürde der Vergangenheit: Wie die Monsanto-Übernahme Bayer ins Wanken brachte

Um die heutige Situation von Bayer zu verstehen, ist ein Blick zurück auf das Jahr 2018 unerlässlich. Die über 60 Milliarden US-Dollar schwere Übernahme des US-Saatgut- und Pestizidherstellers Monsanto sollte Bayer zum unangefochtenen Weltmarktführer im Agrargeschäft machen. Strategisch schien der Deal auf dem Papier sinnvoll, um die beiden Säulen Pharma und Agrarchemie zu stärken und von globalen Megatrends wie einer wachsenden Weltbevölkerung und dem steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln zu profitieren. Doch mit Monsanto kaufte Bayer nicht nur Patente und Marktanteile, sondern auch eine juristische Zeitbombe: Tausende von Klagen in den USA im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter Glyphosat.

Die Kläger warfen dem Unternehmen vor, dass der Wirkstoff krebserregend sei und Bayer dies nicht ausreichend kommuniziert habe. Was folgte, war ein juristischer und finanzieller Albtraum. Milliarden-Rückstellungen für Vergleiche und Gerichtsurteile zehrten die Gewinne auf und trieben die Verschuldung in schwindelerregende Höhen. Der Aktienkurs brach dramatisch ein und hat sich bis heute nicht annähernd von diesem Schock erholt. Das Vertrauen der Anleger war zerstört. Die Übernahme, die als strategischer Geniestreich geplant war, entpuppte sich als einer der teuersten Fehler der deutschen Unternehmensgeschichte, der den Konzern auf Jahre hinaus lähmen sollte.

Neustart unter Bill Anderson: Das "Dynamic Shared Ownership"-Modell

Inmitten dieser tiefen Krise trat im Juni 2023 der Amerikaner Bill Anderson sein Amt als neuer Vorstandsvorsitzender an. Anderson, ein erfahrener Pharma-Manager, erkannte schnell, dass finanzielle Aufräumarbeiten allein nicht ausreichen würden. Bayer litt seiner Ansicht nach unter einer verkrusteten, bürokratischen Konzernstruktur, die Innovationen bremste und schnelle Entscheidungen verhinderte. Seine Antwort darauf ist ein radikaler Kulturwandel unter dem Namen "Dynamic Shared Ownership" (DSO).

Dieses neue Betriebsmodell zielt darauf ab, Hierarchien massiv abzubauen und die Verantwortung dorthin zu verlagern, wo die eigentliche Arbeit stattfindet: in kleine, agile und weitgehend autonome Teams. Anstatt auf Anweisungen von oben zu warten, sollen die Mitarbeiter selbst unternehmerisch denken und handeln. Das Ziel ist es, die Geschwindigkeit, die Innovationskraft und die Kundenorientierung deutlich zu erhöhen. Mit diesem Schritt soll die über Jahre gewachsene Komplexität reduziert und eine neue Dynamik entfesselt werden. Die Einführung von DSO ist mit einem erheblichen Personalabbau in den Management- und Verwaltungsebenen verbunden, was kurzfristig Kosten senkt, aber langfristig vor allem die Leistungsfähigkeit des gesamten Konzerns steigern soll. Es ist ein gewagtes Experiment, das, wenn es gelingt, als Blaupause für die Sanierung anderer Großkonzerne dienen könnte.

Die drei Säulen von Bayer: Eine Analyse der Geschäftsbereiche

Trotz aller Probleme verfügt Bayer weiterhin über ein Portfolio von Weltklasse-Geschäftsbereichen. Der Turnaround des Konzerns hängt entscheidend von der Entwicklung dieser drei Säulen ab.

  1. Pharmaceuticals (Pharma): Dies ist der aktuelle Hoffnungsträger des Konzerns. Während andere Bereiche schwächelten, zeigte die Pharmasparte, insbesondere im ersten Quartal 2025, ein beeindruckendes Gewinnwachstum. Getragen wird diese Entwicklung von neueren Medikamenten mit hohem Potenzial, wie dem Prostatakrebsmittel Nubeqa und dem Nierenmedikament Kerendia. Diese Blockbuster-Kandidaten sind essenziell, um die drohenden Umsatzeinbußen durch auslaufende Patente bei Kassenschlagern wie dem Gerinnungshemmer Xarelto und dem Augenmedikament Eylea zu kompensieren. Die Zukunft von Bayer hängt maßgeblich davon ab, ob die Innovationspipeline der Pharmasparte weiterhin so erfolgreich bleibt.
  2. Crop Science (Agrar): Das Agrargeschäft ist sowohl der größte Umsatzbringer als auch das größte Sorgenkind. Die Sparte leidet weiterhin unter den Folgen der Glyphosat-Krise, aber auch unter Preisdruck und einem herausfordernden Marktumfeld, wie der moderate Umsatzrückgang zu Beginn des Jahres 2025 zeigte. Langfristig bleibt der Sektor jedoch attraktiv. Die Notwendigkeit, eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig zu ernähren, bietet immense Chancen für innovative Produkte im Bereich Saatgut und Pflanzenschutz. Die zentrale Aufgabe für das Management ist es, die rechtlichen Risiken zu managen und die operative Profitabilität in diesem Segment wieder zu steigern.
  3. Consumer Health (Rezeptfreie Gesundheitsprodukte): Diese Sparte mit weltbekannten Marken wie Aspirin, Bepanthen oder Claritin ist der Fels in der Brandung. Sie liefert stabile und verlässliche Erträge und wächst solide. Im Vergleich zu Pharma und Crop Science ist ihr Anteil am Gesamtkonzern jedoch kleiner. In der aktuellen Debatte über die Zukunft von Bayer spielt Consumer Health eine besondere Rolle, da sie als erster und einfachster Kandidat für eine Abspaltung oder einen Verkauf gilt, um Schulden zu reduzieren und den Fokus des Konzerns zu schärfen.

Die Streitfrage: Aufspaltung oder integrierter Konzern?

Seit Jahren fordern aktivistische Investoren eine Aufspaltung von Bayer. Ihre Argumentation ist einfach: Als separate, börsennotierte Unternehmen wären die Pharmasparte und die Agrarsparte deutlich mehr wert als unter dem gemeinsamen Konzerndach. Eine solche Trennung könnte den sogenannten "Konglomeratsabschlag" beseitigen und den wahren Wert der einzelnen Geschäftsbereiche freilegen. Insbesondere die hochprofitable und zukunftsstarke Pharmasparte könnte von der Trennung von den juristischen Altlasten des Agrargeschäfts profitieren und am Kapitalmarkt eine deutlich höhere Bewertung erzielen.

CEO Bill Anderson hat dieser Idee vorerst eine Absage erteilt. Seine Priorität liegt auf der internen Sanierung durch das DSO-Modell. Er argumentiert, dass eine Aufspaltung zum jetzigen Zeitpunkt zu komplex, teuer und ablenkend wäre. Zuerst müsse die operative Leistung verbessert und die Schuldenlast reduziert werden. Erst wenn der Konzern wieder auf einem soliden Fundament stehe, könnten strukturelle Veränderungen sinnvoll sein. Damit ist die Diskussion zwar vorerst vertagt, aber keineswegs vom Tisch. Sollte die interne Sanierung nicht die erhofften Früchte tragen, dürfte der Druck von Investorenseite wieder zunehmen, den Konzern doch noch zu zerschlagen.

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Zahlen, Daten, Fakten: Bayer im Überblick (Stand Juli 2025)

Merkmal Information
CEO Bill Anderson (seit Juni 2023)
Hauptsitz Leverkusen, Deutschland
Gründung 1863
Geschäftsbereiche Pharmaceuticals, Crop Science, Consumer Health
Umsatz 2024 ca. 46,6 Mrd. Euro
Nettofinanzverschuldung ca. 34,3 Mrd. Euro (Stand Q1 2025)
Wichtigste Risiken Glyphosat-Rechtsstreitigkeiten, hohe Verschuldung, auslaufende Patente (Patent-Klippe)
Größte Chancen Starke Pharma-Pipeline, Erfolg des DSO-Restrukturierungsprogramms, Turnaround-Potenzial der Aktie, Abspaltungsfantasie

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Chancen und Risiken für Anleger: Eine ausgewogene Betrachtung

Für Anleger stellt Bayer derzeit eine klassische Turnaround-Wette dar, die mit hohen Chancen, aber auch mit erheblichen Risiken verbunden ist.

Die Chancen:

  • Günstige Bewertung: Die Aktie notiert auf einem historisch niedrigen Niveau. Gelingt der operative Umschwung, besteht erhebliches Aufwärtspotenzial.
  • Starke Marktpositionen: In allen drei Sparten gehört Bayer zu den global führenden Anbietern mit starken Marken und Produkten.
  • Erfolgreiche Pharma-Pipeline: Neue Medikamente zeigen starkes Wachstum und könnten die Patentabläufe mehr als kompensieren.
  • Restrukturierungserfolg: Wenn das DSO-Modell greift, sind signifikante Effizienz- und Profitabilitätssteigerungen möglich.
  • Langfristige Katalysatoren: Die "Sum-of-the-parts"-Bewertung deutet auf einen erheblichen unterbewerteten Wert hin, der durch eine zukünftige Aufspaltung gehoben werden könnte.

Die Risiken:

  • Glyphosat-Saga: Die Rechtsstreitigkeiten sind noch nicht ausgestanden und könnten weiterhin für negative Nachrichten und erhebliche Mittelabflüsse sorgen.
  • Hohe Verschuldung: Die Schuldenlast schränkt die strategische Flexibilität des Unternehmens ein und macht es anfällig für Zinsänderungen.
  • Patent-Klippe: Der Erfolg der neuen Medikamente muss ausreichen, um die wegfallenden Milliardenumsätze von Xarelto und Eylea aufzufangen.
  • Umsetzungsrisiko: Die radikale Restrukturierung unter Bill Anderson ist ein komplexer Prozess, dessen Erfolg nicht garantiert ist.
  • Regulatorischer Gegenwind: Insbesondere im Agrargeschäft könnten strengere Vorschriften für Pflanzenschutzmittel das Geschäft belasten.

Fazit: Ist Bayer auf dem Weg zur Renaissance?

Bayer steht zweifellos an einem entscheidenden Wendepunkt. Der Konzern ist ein faszinierendes Beispiel für ein Unternehmen, das über erstklassige Vermögenswerte verfügt, aber durch strategische Fehler der Vergangenheit schwer belastet ist. Der Weg zur Renaissance ist klar vorgezeichnet, aber er ist steil und voller Hindernisse.

Der Erfolg hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: Erstens, der Fähigkeit des Managements, die Glyphosat-Altlasten juristisch und finanziell endlich einzudämmen. Zweitens, der erfolgreichen Umsetzung des ambitionierten "Dynamic Shared Ownership"-Modells zur Wiederbelebung der Unternehmenskultur und Leistungsfähigkeit. Und drittens, dem fortgesetzten Erfolg der Pharmasparte, deren Innovationskraft der Motor für die zukünftigen Gewinne sein muss.

Für Anleger ist Bayer eine hochriskante, aber potenziell hochrentable Investition. Wer an die Fähigkeit des neuen Managements glaubt, das Ruder herumzureißen, und die nötige Geduld und Risikobereitschaft mitbringt, könnte Zeuge einer der bemerkenswertesten Trendwenden in der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden. Das Potenzial, wieder zu einem Wertriesen aufzusteigen, ist vorhanden. Ob dieser Weg zur Renaissance gelingt, werden die nächsten 18 bis 24 Monate zeigen. Es bleibt eine der spannendsten Geschichten am deutschen Aktienmarkt.

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