Value Investing im Tech-Rausch: So geht's

Value Investing im Tech-Sektor? Ein Widerspruch? Keineswegs. Lernen Sie, wie Sie Hype von wahrem Wert unterscheiden und unterbewertete Technologie-Perlen mit einer soliden Sicherheitsmarge für Ihr Portfolio entdecken, gerade wenn Substanz wieder zählt.

Veröffentlicht am 17.06.2025

Was ist Value Investing wirklich? Ein Blick auf die Grundlagen

Im Kern ist Value Investing eine einfache Idee: Kaufe einen Vermögenswert für weniger, als er wert ist. Benjamin Graham, der Urvater dieser Strategie, beschrieb es als den Kauf von Aktien mit einer „Sicherheitsmarge“ (Margin of Safety). Das bedeutet, eine Aktie wird nur dann erworben, wenn ihr Marktpreis deutlich unter ihrem berechneten inneren Wert liegt. Diese Differenz dient als Puffer gegen Fehleinschätzungen und unvorhergesehene Marktentwicklungen.

Im Gegensatz dazu steht das Growth Investing, bei dem der Fokus auf Unternehmen mit hohem Wachstums- und Zukunftspotenzial liegt, oft unabhängig von ihrer aktuellen Bewertung. Growth-Investoren sind bereit, einen hohen Preis für erwartetes zukünftiges Wachstum zu zahlen, während Value-Investoren einen Rabatt auf den gegenwärtigen Wert suchen.

Die typischen Merkmale eines Value-Unternehmens sind:

  1. Niedrige Bewertungskennzahlen: Ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), ein niedriges Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) oder ein niedriges Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) deuten oft darauf hin, dass eine Aktie im Vergleich zu ihren Erträgen, ihrem Buchwert oder ihrem Umsatz günstig ist.
  2. Stabile Geschäftsmodelle: Value-Investoren bevorzugen Unternehmen mit bewährten Geschäftsmodellen, die stetige und vorhersagbare Cashflows generieren.
  3. Solide Bilanzen: Eine geringe Verschuldung und hohe Barreserven sind Zeichen finanzieller Stärke und Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten.
  4. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile: Warren Buffett prägte hierfür den Begriff des „wirtschaftlichen Burggrabens“ (Economic Moat). Dieser kann aus einer starken Marke, Netzwerkeffekten, Patenten oder Kostenvorteilen bestehen und schützt das Unternehmen vor Konkurrenz.

Der Tech-Sektor: Ein Widerspruch zum Value-Ansatz?

Auf den ersten Blick scheint der Technologiesektor das genaue Gegenteil dessen zu sein, was Value-Investoren suchen. Viele Tech-Unternehmen, insbesondere junge Start-ups, schreiben noch keine Gewinne, werden mit extrem hohen Multiplikatoren bewertet und ihre Geschäftsmodelle sind oft unbewiesen. Die Branche ist geprägt von Disruption und rasantem Wandel, was die Vorhersage langfristiger Cashflows erschwert.

Dieser oberflächliche Widerspruch führt jedoch zu einer Fehleinschätzung. Der Tech-Sektor ist kein monolithischer Block. Er umfasst eine breite Palette von Unternehmen, von hochspekulativen Start-ups bis hin zu etablierten Giganten mit tiefen Burggräben und massiven Cashflows. Gerade diese reiferen Technologieunternehmen können exzellente Ziele für Value-Investoren sein, insbesondere wenn der Markt sie aufgrund kurzfristiger Probleme oder eines nachlassenden Hypes temporär niedriger bewertet.

Ein klassisches Szenario ist eine Marktkorrektur oder ein branchenspezifischer Abschwung. Während hoch bewertete Growth-Aktien in solchen Phasen oft am stärksten leiden, können die Kurse grundsolider Tech-Unternehmen auf ein Niveau fallen, das eine attraktive Sicherheitsmarge bietet. Ein Value-Investor schaut hier durch den kurzfristigen Lärm hindurch und bewertet das langfristige Potenzial des Unternehmens.

So finden Sie Value-Perlen im Tech-Dschungel

Die Identifizierung unterbewerteter Tech-Aktien erfordert eine Anpassung der traditionellen Analysewerkzeuge und eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der Branche. Es reicht nicht, nur auf ein niedriges KGV zu schauen.

Angepasste Bewertungskennzahlen: Da viele Tech-Unternehmen stark in Wachstum investieren und daher geringe Gewinne ausweisen, kann das KGV irreführend sein. Sinnvollere Kennzahlen sind oft:

  • Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV): Besonders nützlich für Unternehmen, die noch nicht profitabel sind, aber bereits starke Umsätze generieren.
  • Unternehmenswert/EBITDA (EV/EBITDA): Diese Kennzahl berücksichtigt die Verschuldung und ist weniger anfällig für bilanzpolitische Gestaltungen als der Gewinn.
  • Free Cashflow-Rendite: Der freie Cashflow zeigt, wie viel Geld ein Unternehmen nach allen Investitionen tatsächlich zur Verfügung hat. Eine hohe Rendite ist ein starkes Zeichen für finanzielle Gesundheit.

Die Qualität des Burggrabens analysieren: Im Tech-Sektor ist der Burggraben besonders wichtig, aber auch flüchtiger. Ein technologischer Vorsprung kann schnell aufgeholt werden. Nachhaltige Vorteile liegen eher in:

  • Netzwerkeffekten: Plattformen wie soziale Medien oder Marktplätze werden wertvoller, je mehr Nutzer sie haben (z.B. Microsoft mit seinem Office-Ökosystem).
  • Hohe Wechselkosten: Wenn es für Kunden teuer oder aufwendig ist, zu einem Konkurrenten zu wechseln, sichert dies wiederkehrende Einnahmen (z.B. bei Cloud-Anbietern oder Unternehmenssoftware).
  • Starke Marke und Ökosystem: Unternehmen wie Apple binden Kunden durch ein nahtlos integriertes Ökosystem aus Hardware, Software und Dienstleistungen.

Die folgende Tabelle fasst die Unterschiede zwischen einem typischen Value- und einem Growth-Unternehmen im Tech-Sektor zusammen:

Merkmal Typisches Value-Unternehmen im Tech-Sektor Typisches Growth-Unternehmen im Tech-Sektor
Marktposition Etablierter Marktführer, oft in einer reiferen Nische (z.B. Halbleiter, IT-Dienstleistungen) Disruptor in einem neuen, schnell wachsenden Markt (z.B. KI-Software, Biotech)
Bewertung Niedriges KGV/KBV, hohe Free-Cashflow-Rendite Hohes KUV, oft negatives KGV, Bewertung basiert auf Zukunftspotenzial
Profitabilität Stetig profitabel, generiert stabile Cashflows Oft unprofitabel, da alle Einnahmen in Wachstum reinvestiert werden
Fokus des Managements Kapitaldisziplin, Effizienz, oft auch Dividenden oder Aktienrückkäufe Maximale Skalierung, Gewinnung von Marktanteilen
Anlegerrisiko Gefahr der "Value Trap" (struktureller Niedergang) Hohes Risiko des Scheiterns, extreme Volatilität

Die Gefahr der "Value Trap": Wenn günstig zu teuer wird

Die größte Herausforderung für Value-Investoren im Technologiesektor ist die Unterscheidung zwischen einem temporär unterbewerteten Unternehmen und einer sogenannten „Value Trap“. Eine Value Trap ist eine Aktie, die billig erscheint, es aber aus gutem Grund ist: Ihr Geschäftsmodell erodiert, ihre Technologie ist veraltet oder sie verliert unaufhaltsam Marktanteile. Nokia im Smartphone-Markt oder IBM in bestimmten Cloud-Segmenten sind oft zitierte Beispiele für Unternehmen, die Schwierigkeiten hatten, mit dem Wandel Schritt zu halten.

Um nicht in diese Falle zu tappen, müssen Investoren über die reinen Zahlen hinausschauen. Stellen Sie sich kritische Fragen: Warum ist die Aktie so günstig? Handelt es sich um ein kurzfristiges Problem, das das Management lösen kann, oder um einen langfristigen, strukturellen Niedergang? Hat das Unternehmen noch einen relevanten Burggraben? Eine Aktie, die heute bei einem KGV von 10 günstig aussieht, kann sich als teuer erweisen, wenn die Gewinne in den nächsten Jahren um 50 % einbrechen.

Makroökonomische Winde: Warum das Umfeld jetzt für Value spricht

Die letzten Jahre waren stark von einer Nullzinspolitik geprägt, die Growth-Aktien beflügelte. Zukünftige Gewinne waren in der Gegenwart viel wert. In einem Umfeld steigender Zinsen und höherer Inflation, wie wir es seit einiger Zeit erleben, kehrt sich dieses Bild um. Zukünftige Cashflows werden stärker diskontiert, was hoch bewertete Growth-Titel unter Druck setzt. Anleger suchen vermehrt nach Sicherheit und realen, gegenwärtigen Erträgen.

Davon profitieren Value-Aktien überproportional. Unternehmen, die heute schon profitabel sind, stabile Cashflows erwirtschaften und solide Bilanzen aufweisen, werden für Anleger attraktiver. Diese Verschiebung der Präferenzen kann auch im Tech-Sektor zu einer Neubewertung führen, bei der Substanz wieder stärker belohnt wird als reines Wachstumspotenzial.

Schritte für den Einstieg: Ihr Weg zum Tech-Value-Investor

Der Einstieg in das Value Investing im Tech-Sektor erfordert Sorgfalt und Disziplin. Hier sind einige praktische Schritte:

  1. Bildung und Recherche: Verstehen Sie die Grundlagen des Value Investing. Lesen Sie die Jahresberichte der Unternehmen, die Sie interessieren. Versuchen Sie, das Geschäftsmodell, die Konkurrenz und den Burggraben wirklich zu verstehen.
  2. Aktien-Screening nutzen: Verwenden Sie Finanzportale, um nach Tech-Unternehmen zu filtern, die bestimmte Value-Kriterien erfüllen (z.B. KBV < 2, hohe Eigenkapitalrendite, positive Cashflows). Dies ist nur der erste Schritt, um eine Liste potenzieller Kandidaten zu erstellen.
  3. Tiefgehende Analyse: Jedes Unternehmen auf Ihrer Liste muss einer detaillierten Prüfung unterzogen werden. Analysieren Sie die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und die Kapitalflussrechnung der letzten Jahre.
  4. Geduld und Disziplin: Kaufen Sie nicht, nur weil eine Aktie gefallen ist. Warten Sie, bis der Preis eine ausreichende Sicherheitsmarge zu Ihrem berechneten inneren Wert bietet. Seien Sie bereit, auch über längere Zeiträume nichts zu tun, wenn sich keine Gelegenheiten bieten.
  5. Diversifikation: Setzen Sie nicht alles auf eine Karte. Bauen Sie ein Portfolio aus 10-15 sorgfältig ausgewählten Unternehmen aus verschiedenen Tech-Nischen auf, um das Risiko zu streuen.

Fazit: Geduld und Analyse als Schlüssel zum Erfolg

Value Investing im Technologiesektor ist kein Widerspruch in sich, sondern eine anspruchsvolle und potenziell sehr lohnende Strategie. Sie erfordert, den Lärm des Marktes auszublenden und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt: die fundamentale Stärke und den inneren Wert eines Unternehmens. Während der Tech-Rausch weitergeht, bieten sich für disziplinierte Anleger immer wieder Gelegenheiten, hochwertige Technologieunternehmen mit einem signifikanten Rabatt zu erwerben.

Es geht nicht darum, die nächste explosive Wachstumsaktie zu finden, sondern darum, solide, profitable und widerstandsfähige Unternehmen zu identifizieren, deren langfristiges Potenzial vom Markt unterschätzt wird. Mit Geduld, gründlicher Analyse und einer gesunden Portion Skepsis gegenüber dem Hype können Anleger die zeitlosen Prinzipien des Value Investing nutzen, um auch im dynamischen Tech-Sektor nachhaltigen Erfolg zu erzielen.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

Haftungsausschluss: Bei allen Inhalten auf Börse.net handelt es sich ausdrücklich nicht um Anlageberatung. Ihre Risikodisposition kann von uns nicht eingeschätzt werden. Der Autor besitzt keines der genannten Wertpapiere. Keiner der Inhalte stellt ein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Falls Sie sich doch zu einem Kauf oder Verkauf entscheiden, handeln Sie immer auf eigenes Risiko.

Teilen

Themen

Die wichtigsten Börsen-News in Ihr Postfach

Melden Sie sich an, um Zugang zu Premium-Inhalten zu erhalten, oder kontaktieren Sie uns, wenn Sie irgendwelche Fragen haben.

Jetzt abonnieren