Vom Krisenherd zum Hoffnungsträger – Eine Bestandsaufnahme
Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist ein kurzer Blick zurück unerlässlich. Der Name Siemens Gamesa war über Jahre hinweg beinahe ein Synonym für die Probleme von Siemens Energy. Technische Mängel bei Onshore-Windturbinen, insbesondere bei den Plattformen 4.X und 5.X, führten zu horrenden Kosten für Reparaturen und Nachbesserungen. Diese Probleme fraßen nicht nur die Gewinne auf, sondern zerstörten auch wertvolles Vertrauen bei Kunden und am Kapitalmarkt. Zeitweise stand sogar die finanzielle Stabilität des gesamten Konzerns zur Debatte, was nur durch staatlich besicherte Garantien abgewendet werden konnte.
Doch während die Windkraftsparte brannte, liefen die anderen Geschäftsbereiche auf Hochtouren. Genau diese Diversifizierung erweist sich nun als der entscheidende Rettungsanker und Motor des Aufschwungs. Die beiden Sparten Gas Services und Grid Technologies profitieren massiv von den globalen Anstrengungen zur Modernisierung der Energieinfrastruktur. Das Ergebnis ist eine beeindruckende finanzielle Leistung im zweiten Quartal 2025: Der Umsatz kletterte um über 20 Prozent auf knapp 10 Milliarden Euro, und der Gewinn vor Sondereffekten erreichte beeindruckende 906 Millionen Euro. Die operative Marge sprang von mageren 2,1 Prozent im Vorjahr auf starke 9,1 Prozent. Noch wichtiger ist der Blick in die Zukunft: Der Auftragsbestand ist auf einen Rekordwert von 119 Milliarden Euro angeschwollen. Das schafft Planungssicherheit für Jahre.
Die Säulen des Erfolgs: Wo Siemens Energy wirklich punktet
Der Turnaround von Siemens Energy steht auf mehreren starken Säulen, die unabhängig von der Windkraftsparte eine robuste Basis bilden. Diese Bereiche sind nicht nur profitabel, sondern bedienen zentrale Megatrends der Energiewende.
- Gas and Power (Gas und Stromerzeugung): Auch wenn der Fokus auf erneuerbaren Energien liegt, bleibt die Rolle von Gaskraftwerken als Brückentechnologie unverzichtbar. Sie sichern die Stromversorgung, wenn Sonne und Wind nicht verfügbar sind. Siemens Energy ist hier weltweit führend. Der entscheidende Zukunftsfaktor: Die modernen Gasturbinen sind bereits "H2-Ready". Das bedeutet, sie können schrittweise von Erdgas auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden. Dies sichert die Relevanz der Technologie für Jahrzehnte. Ein jüngster Milliardenauftrag aus Saudi-Arabien für Gaskraftwerkstechnologie unterstreicht die starke Marktposition. Der globale Markt für Gasturbinen wächst wieder und soll 2025 ein Volumen von rund 70 Gigawatt erreichen.
- Grid Technologies (Netztechnologien): Die Energiewende ist ohne einen massiven Ausbau und die Digitalisierung der Stromnetze undenkbar. Jedes neue Windrad und jede Solaranlage muss an ein stabiles Netz angeschlossen werden, das die schwankende Einspeisung bewältigen kann. Siemens Energy liefert hierfür die entscheidenden Komponenten – von Hochspannungsschaltanlagen über Transformatoren bis hin zu Software für die Netzsteuerung. Dieser Markt wächst strukturell und ist weniger zyklisch als das Projektgeschäft. Die Nachfrage ist weltweit enorm, was sich in den vollen Auftragsbüchern dieser Sparte widerspiegelt.
- Transformation of Industry (Industrielle Transformation): Über die reine Stromerzeugung hinaus bietet Siemens Energy Lösungen zur Dekarbonisierung für energieintensive Industrien wie die Stahl-, Zement- oder Chemiebranche an. Dies reicht von effizienten Antriebslösungen bis hin zu Konzepten für den Einsatz von Wasserstoff in industriellen Prozessen. Dieses Geschäftsfeld positioniert das Unternehmen als ganzheitlichen Partner für die industrielle Energiewende.
Das Sorgenkind Siemens Gamesa: Sanierung auf Kurs?
Trotz der Erfolge in den anderen Bereichen bleibt der Blick der Anleger kritisch auf Siemens Gamesa gerichtet. Hier entscheidet sich, ob der Turnaround wirklich nachhaltig ist. Das Management unter CEO Christian Bruch hat einen klaren Sanierungsplan vorgelegt. Dieser beinhaltet einen vorübergehenden Stopp für den Vertrieb der problematischen Onshore-Turbinen, bis die Qualitätsmängel vollständig behoben sind. Der Fokus wird stattdessen auf die profitableren Bereiche gelegt: das robuste Offshore-Windgeschäft, in dem Siemens Gamesa eine führende Marktposition innehat, und das margenstarke Servicegeschäft.
Die Restrukturierung ist schmerzhaft und kostet Geld, aber sie zeigt erste Früchte. Der operative Verlust der Sparte verringert sich, und die strategische Neuausrichtung hin zu Profitabilität statt Wachstum um jeden Preis ist der richtige Schritt. Das Ziel ist klar: Die Windkraftsparte muss mittelfristig wieder einen positiven Beitrag zum Konzernergebnis leisten. Gelingt dies, wäre das der letzte und entscheidende Baustein für eine Neubewertung des gesamten Unternehmens. Die Herausforderung bleibt jedoch gewaltig, da der Wettbewerb im Windkraftmarkt, insbesondere durch chinesische Anbieter, immer härter wird.
Finanzielle Stabilität und Ausblick – Zahlen, Daten, Fakten im Überblick
Die verbesserte operative Leistung spiegelt sich direkt in den Finanzkennzahlen und der angehobenen Prognose für das Gesamtjahr 2025 wider. Das Management erwartet nun ein Umsatzwachstum von 13 bis 15 Prozent und einen Nettogewinn von bis zu einer Milliarde Euro. Besonders positiv ist die Prognose für den freien Cashflow, der auf rund 4 Milliarden Euro angehoben wurde. Ein starker Cashflow ist essenziell, um Schulden abzubauen, in Zukunftstechnologien zu investieren und finanzielle Puffer aufzubauen.
Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Kennzahlen und Prognosen zusammen:
Kennzahl / Thema | Wert / Kontext (Stand: Juni 2025) |
Aktieninformation | WKN: ENER6Y / ISIN: DE000ENER6Y0 |
Umsatz Q2 2025 | 9,96 Mrd. Euro (+20,7 % zum Vorjahr) |
Gewinn vor Sondereffekten Q2 2025 | 906 Mio. Euro (Marge: 9,1 %) |
Auftragsbestand | 119 Mrd. Euro (Rekordniveau) |
Prognose Gesamtjahr 2025 | (Angehoben im Mai 2025) |
Umsatzwachstum (Prognose) | 13 % bis 15 % |
Gewinnmarge (Prognose) | 4 % bis 6 % |
Nettogewinn (Prognose) | Bis zu 1 Mrd. Euro |
Freier Cashflow (Prognose) | ca. 4 Mrd. Euro |
Nachhaltigkeitsziel (Scope 1+2) | -55 % CO₂-Emissionen seit 2019 (bereits erreicht) |
Chancen und Risiken in der Waagschale
Für Anleger ergibt sich ein differenziertes Bild mit klaren Chancen, aber auch nicht zu vernachlässigenden Risiken.
Die Chancen:
- Megatrend Energiewende: Siemens Energy ist mit seinem Portfolio perfekt positioniert, um von den weltweiten Investitionen in eine nachhaltige Energieversorgung zu profitieren.
- Technologieführerschaft: In Schlüsselbereichen wie Wasserstoff-ready-Turbinen und Netztechnologie hat das Unternehmen einen technologischen Vorsprung.
- Visibilität durch Auftragsbestand: Der Rekordauftragsbestand sichert Umsatz und Auslastung für die kommenden Jahre und reduziert die Unsicherheit.
- Sanierungserfolg bei Gamesa: Gelingt die Restrukturierung der Windsparte, schlummert hier erhebliches Aufwertungspotenzial für die Aktie.
Die Risiken:
- Rückschläge bei Gamesa: Der Sanierungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Neue technische Probleme oder Verzögerungen könnten den gesamten Konzern erneut belasten.
- Geopolitische Spannungen: Als globaler Konzern ist Siemens Energy von stabilen Lieferketten und offenen Märkten abhängig. Handelskonflikte oder regionale Instabilität stellen ein permanentes Risiko dar.
- Wettbewerbsdruck: Der Konkurrenzkampf mit General Electric, Mitsubishi und aufstrebenden chinesischen Wettbewerbern ist intensiv und könnte auf die Margen drücken.
- Regulatorische Unsicherheit: Änderungen bei staatlichen Förderprogrammen für erneuerbare Energien oder Emissionsstandards können die Nachfrage und die Profitabilität von Projekten beeinflussen.
Fazit: Ist die Siemens Energy-Aktie jetzt ein Kauf?
Siemens Energy hat einen beeindruckenden Turnaround hingelegt. Das Management hat die Kontrolle zurückgewonnen, die profitablen Geschäftsbereiche laufen auf Hochtouren und die strategische Ausrichtung auf die Megatrends der Energiewende ist goldrichtig. Die Geschichte hat sich von einer Überlebensfrage zu einer der Profitabilität gewandelt. Die angehobene Prognose und der starke Cashflow sind handfeste Beweise dafür, dass die eingeleiteten Maßnahmen wirken.
Dennoch wäre es verfrüht, alle Risiken auszublenden. Der Erfolg der Sanierung bei Siemens Gamesa bleibt der entscheidende Faktor für die langfristige Stabilität und das weitere Kurspotenzial. Jeder Rückschlag hier kann die positive Stimmung schnell wieder kippen lassen. Für Anleger mit einem langfristigen Horizont und einer gewissen Risikotoleranz bietet sich jedoch eine spannende Investmentstory. Siemens Energy ist nicht mehr nur ein Sanierungsfall, sondern ein zentraler Akteur und Gestalter der globalen Energiewende. Der Weg zum nachhaltigen Aufschwung ist geebnet – nun muss das Unternehmen ihn konsequent und ohne Stolpersteine weitergehen.