Warum die globalen Lieferketten Risse bekommen
Um die aktuellen Chancen zu verstehen, müssen wir die Ursachen für den Wandel beleuchten. Der perfekte Sturm aus mehreren globalen Krisen hat die Schwächen des alten Systems schonungslos aufgedeckt. Die Pandemie war der erste große Weckruf, als Lockdowns in China ganze Industriezweige weltweit lahmlegten. Die Blockade des Suezkanals durch ein einziges Containerschiff zeigte eindrücklich, wie verwundbar die zentralen Arterien des Welthandels sind.
Hinzu kommt die wachsende geopolitische Rivalität. Die USA und Europa wollen ihre strategische Abhängigkeit von China, insbesondere bei kritischen Technologien wie Halbleitern, Batterien und Pharmazeutika, drastisch reduzieren. Politische Maßnahmen wie der US-amerikanische „CHIPS and Science Act“ oder der „European Chips Act“ pumpen Hunderte von Milliarden in den Aufbau heimischer Produktionskapazitäten. Gleichzeitig führen Zölle, Exportbeschränkungen und unterschiedliche Regulierungen zu einer Fragmentierung des globalen Marktes. Unternehmen müssen ihre Lieferketten nicht mehr nur nach ökonomischen, sondern zunehmend nach politischen Kriterien ausrichten.
Nicht zuletzt zwingen auch Nachhaltigkeitsziele und die CO₂-Regulierung die Unternehmen zum Handeln. Lange Transportwege aus Fernost verursachen einen erheblichen CO₂-Fußabdruck. Eine Produktion näher am Absatzmarkt kann nicht nur die Lieferzeiten verkürzen und die Resilienz erhöhen, sondern auch die Klimabilanz verbessern.
Die neue Landkarte der Produktion: Reshoring, Nearshoring und Friendshoring
Als Reaktion auf diese Herausforderungen haben sich drei zentrale Strategien herauskristallisiert, welche die Weltkarte der Industrieproduktion neu zeichnen:
- Reshoring (oder Onshoring): Hierbei wird die Produktion aus dem Ausland zurück ins eigene Heimatland verlagert. Der Hauptvorteil liegt in der maximalen Kontrolle über die Lieferkette, der politischen Stabilität und der Stärkung der heimischen Wirtschaft. Der Nachteil sind oft deutlich höhere Lohn- und Energiekosten, die nur teilweise durch einen höheren Automatisierungsgrad ausgeglichen werden können.
- Nearshoring: Dies beschreibt die Verlagerung der Produktion in geografisch nahegelegene Länder. Für deutsche und europäische Unternehmen sind dies vor allem Länder in Ost- und Südosteuropa wie Polen, Tschechien oder Rumänien. Für US-Unternehmen ist Mexiko der klare Favorit. Nearshoring verkürzt Transportwege, erleichtert die Kommunikation durch geringere Zeit- und Kulturunterschiede und reduziert geopolitische Risiken im Vergleich zu Standorten in Fernost.
- Friendshoring (oder Ally-Shoring): Bei dieser Strategie verlagern Unternehmen ihre Produktion in politisch und wertebasiert verbündete Staaten. Es geht darum, Abhängigkeiten von autokratischen oder rivalisierenden Regimen zu reduzieren. Länder wie Vietnam, Indien, Malaysia oder die Philippinen positionieren sich als verlässliche Alternativen zu China und profitieren von Investitionen westlicher Konzerne.
In der Praxis sehen wir oft eine Kombination dieser Strategien, bekannt als „China plus One“. Unternehmen ziehen sich nicht vollständig aus China zurück, bauen aber gezielt eine zweite, alternative Lieferkette in einer anderen Region auf, um Risiken zu streuen.
Gewinner der Neuordnung: Welche Branchen und Regionen profitieren?
Für Investoren ist die entscheidende Frage: Wo fließt das Kapital hin? Die Antwort lässt sich nach Regionen und Branchen aufschlüsseln.
Profitierende Regionen:
- Mexiko: Das Land ist der größte Gewinner des Nearshoring-Trends aus den USA. Dank des USMCA-Handelsabkommens (dem Nachfolger von NAFTA), der geografischen Nähe und wettbewerbsfähiger Löhne erlebt Mexiko einen Investitionsboom, insbesondere in der Automobil-, Elektronik- und Maschinenbauindustrie.
- Osteuropa: Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn profitieren von ihrer Nähe zu den großen westeuropäischen Märkten wie Deutschland. Sie bieten qualifizierte Arbeitskräfte, eine gute Infrastruktur und die Stabilität der EU-Mitgliedschaft. Besonders die Automobilzulieferer- und Elektronikindustrie siedelt sich hier an.
- Südostasien (ASEAN): Vietnam, Malaysia und Indonesien entwickeln sich zu wichtigen Produktionszentren für westliche Unternehmen, die eine Alternative zu China suchen. Sie bieten junge, wachsende Bevölkerungen und eine zunehmend unternehmensfreundliche Politik.
- Indien: Mit seiner riesigen Bevölkerung und der „Make in India“-Initiative der Regierung positioniert sich Indien als strategischer Partner des Westens. Insbesondere in der Elektronikfertigung, etwa bei Smartphones, gewinnt das Land an Bedeutung.
Profitierende Branchen:
- Industrie- und Logistikimmobilien: Der Aufbau neuer Fabriken und Lagerhäuser in den genannten Regionen führt zu einer enormen Nachfrage. Unternehmen, die auf die Entwicklung und Vermietung solcher Immobilien spezialisiert sind, erleben goldene Zeiten.
- Automatisierung und Robotik: Um die höheren Lohnkosten beim Reshoring und Nearshoring zu kompensieren, müssen Unternehmen massiv in Automatisierung investieren. Hersteller von Industrierobotern, Sensoren und Automatisierungssoftware sind zentrale Profiteure.
- Halbleiter: Durch die strategische Bedeutung von Mikrochips wird die gesamte Wertschöpfungskette – von den Maschinenbauern für die Chipfertigung über die Chip-Designer bis hin zu den neuen Fabriken selbst – mit massiven staatlichen Subventionen gefördert.
- Transport und Logistik: Der Fokus verlagert sich von globalen Seefrachtrouten auf regionale Lkw-, Schienen- und Luftfrachtnetze. Logistikunternehmen, die sich auf diese regionalen Korridore spezialisieren, haben exzellente Wachstumsaussichten.
So investieren Sie in den Wandel der Lieferketten
Der Megatrend der neuen Lieferketten ist langfristig und bietet verschiedene Anlagemöglichkeiten. Anstatt auf einzelne, riskante Wetten zu setzen, empfiehlt sich ein diversifizierter Ansatz.
1. Gezielte Aktienauswahl: Identifizieren Sie Marktführer in den Gewinnerbranchen. Das können zum Beispiel führende Anbieter von Lagerautomatisierung, Software für das Lieferkettenmanagement (SCM) oder Betreiber von Industrieparks in Mexiko oder Osteuropa sein. Achten Sie auf Unternehmen mit starken Bilanzen und einer klaren Strategie, um von diesem Wandel zu profitieren.
2. Themen- und Branchen-ETFs: Eine einfachere und breiter gestreute Methode ist die Investition über Exchange Traded Funds (ETFs). Es gibt spezielle ETFs, die sich auf Robotik und Automatisierung, die Halbleiterindustrie oder die globale Logistikbranche konzentrieren. Ebenso können Länder-ETFs auf Mexiko oder Indien eine sinnvolle Ergänzung sein, um von der regionalen Verschiebung zu profitieren.
3. Infrastruktur-Investments: Der Aufbau neuer Lieferketten erfordert massive Investitionen in Infrastruktur – von Häfen und Schienennetzen bis hin zu Energienetzen und digitalen Kommunikationsleitungen. Unternehmen und Fonds, die in diesen Bereichen tätig sind, bieten eine solide, langfristige Investitionsmöglichkeit.
4. Rohstoffe: Die Verlagerung der Produktion ändert auch die Nachfrage nach Rohstoffen. Der Aufbau neuer Fabriken und die Elektrifizierung des Verkehrs treiben die Nachfrage nach Kupfer, Lithium und anderen Industriemetallen. Investitionen in Rohstoffproduzenten in geopolitisch stabilen Regionen können ebenfalls eine Option sein.
Fakten zur globalen Lieferketten-Neuordnung
Kennzahl / Fakt | Beschreibung |
Investitionen in KI & Automatisierung | Rund 50% der Supply-Chain-Manager planen für 2025 signifikante Investitionen in künstliche Intelligenz und Automatisierung zur Effizienzsteigerung. |
Haupttreiber des Wandels | Geopolitische Risiken (45%), Lieferengpässe (35%), steigende Transportkosten (20%). |
Top-Nearshoring-Ziel für USA | Mexiko hat China als wichtigsten Handelspartner der USA abgelöst. |
Top-Nearshoring-Ziel für EU | Polen und Tschechien ziehen die meisten Investitionen im produzierenden Gewerbe an. |
Kostenvolatilität | Zölle und Handelsbarrieren führen zu Margenschwankungen von 8-12% pro Quartal in betroffenen Lieferketten. |
Fokusbranchen | Elektronik, Automobil, Pharma und erneuerbare Energien stehen im Zentrum der Umstrukturierung. |
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Risiken und langfristiger Ausblick
Trotz der klaren Chancen birgt die Neuordnung der Lieferketten auch Risiken. Der Umbau ist komplex, langwierig und teuer. Kurzfristig kann dies zu höheren Kosten für Unternehmen und damit zu Inflation für die Verbraucher führen. Nicht jedes Unternehmen wird die Transformation erfolgreich meistern; es wird auch Verlierer geben. Zudem besteht die Gefahr, dass die Welt in konkurrierende Handelsblöcke zerfällt, was das globale Wirtschaftswachstum bremsen könnte.
Dennoch ist der Trend unumkehrbar. Die Ära der naiven Globalisierung ist vorbei. An ihre Stelle tritt eine Ära der „smarten Globalisierung“, die auf Resilienz, Diversifizierung und strategischen Partnerschaften basiert. Für Investoren bedeutet das, dass traditionelle Bewertungsmodelle um die Faktoren geopolitische Stabilität und Lieferkettensicherheit erweitert werden müssen. Die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Produktion flexibel und widerstandsfähig zu gestalten, wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Neuordnung der globalen Lieferketten einen der prägendsten Wirtschaftstrends unserer Zeit darstellt. Sie zwingt Unternehmen zu fundamentalen Anpassungen, schafft aber gleichzeitig ein fruchtbares Umfeld für gezielte Investitionen. Anleger, die die Dynamik von Nearshoring, Reshoring und Friendshoring verstehen und in die technologischen und regionalen Gewinner dieses Wandels investieren, positionieren sich optimal für nachhaltiges Wachstum in einer Welt, die sich neu sortiert.