Der Aufstieg und Fall eines Börsenlieblings
Um die aktuelle Situation zu verstehen, ist ein kurzer Blick zurück unerlässlich. HelloFresh traf mit seinem Geschäftsmodell den Nerv der Zeit. Das Versprechen, exakt portionierte Zutaten samt Rezept direkt an die Haustür zu liefern, löste für viele Haushalte das tägliche Problem der Essensplanung. Während der Lockdowns 2020 und 2021 erlebte das Unternehmen einen beispiellosen Boom. Die Kundenzahlen schossen in die Höhe, der Umsatz vervielfachte sich, und die Gewinne sprudelten.
Doch auf den Rausch folgte der Kater. Mit dem Ende der Pandemie-Beschränkungen kehrten die Menschen in Restaurants zurück, und der Alltag normalisierte sich. Gleichzeitig sorgten die steigende Inflation und die unsichere Wirtschaftslage dafür, dass Verbraucher den Gürtel enger schnallen mussten. Eine Kochbox, die oft teurer ist als der Einkauf im Supermarkt, wurde für viele zum Luxusgut, auf das man verzichten konnte. Die Folge: Das Wachstum verlangsamte sich drastisch, und die Kosten für Marketing, Logistik und Zutaten liefen aus dem Ruder. Der einstige Börsenstar stürzte ab und verlor über 90 % seines Wertes vom Allzeithoch.
Die nackten Zahlen: Woher kommen die Verluste?
Die jüngsten Geschäftszahlen bestätigen den Abwärtstrend, offenbaren aber auch erste Anzeichen einer strategischen Neuausrichtung. Im ersten Quartal 2025 meldete HelloFresh einen Konzernumsatz von 1,9 Milliarden Euro. Währungsbereinigt entspricht dies einem Rückgang von 8,3 % im Vergleich zum Vorjahresquartal. Bereits das Gesamtjahr 2024 schloss das Unternehmen operativ mit einem schmerzhaften Verlust von 177 Millionen Euro ab.
Die Hauptgründe für diese tiefroten Zahlen sind vielschichtig:
- Steigende Kosten: Die Ausgaben für die Beschaffung von Lebensmitteln, die Logistik in den Fulfillment-Zentren und insbesondere für das Marketing zur Neukundengewinnung sind stark gestiegen.
- Massive Abschreibungen: Das Ergebnis wurde zusätzlich durch enorme Wertminderungen in Höhe von 448 Millionen Euro belastet. Diese resultieren aus der Schließung und Umstrukturierung von Produktionsstätten in strategisch wichtigen, aber unter Druck geratenen Märkten wie den USA, Großbritannien und Australien. Einfach ausgedrückt: Anlagen, die für ein unendliches Wachstum gebaut wurden, sind in der neuen Realität nicht mehr so viel wert.
- Sinkende Kundenzahl: Das Unternehmen kämpft damit, neue Kunden zu gewinnen und bestehende zu halten, ohne auf teure Rabattaktionen angewiesen zu sein.
Besonders die Marketingausgaben waren lange ein zweischneidiges Schwert. Aggressive Kampagnen und hohe Rabatte lockten zwar viele Neukunden an, doch deren Loyalität war oft gering. Ein signifikanter Teil kündigte das Abonnement, sobald die Vergünstigungen ausliefen. Ein weiteres Problem, das die Bilanz belastete: In den letzten beiden Jahren musste HelloFresh jeweils knapp 50 Millionen Euro für Kunden abschreiben, die ihre Rechnungen nicht bezahlten.
Kurswechsel: HelloFreshs neue Strategie der Effizienz
Das Management unter CEO Dominik Richter hat die Zeichen der Zeit erkannt und einen radikalen Kurswechsel eingeleitet. Statt "Wachstum um jeden Preis" lautet die neue Devise "Profitabilität vor Umsatz". HelloFresh hat ein umfassendes Effizienzprogramm gestartet, das an mehreren Hebeln ansetzt, um das Unternehmen wieder auf einen profitablen Kurs zu bringen.
Die Kernpunkte dieser neuen Strategie sind:
- Optimierung der Produktion: Durch eine höhere Arbeitsproduktivität und die Schließung unrentabler Produktionsanlagen sollen die Kosten pro ausgelieferter Box deutlich gesenkt werden.
- Gezielteres Marketing: Die Marketingausgaben werden nicht mehr mit der Gießkanne verteilt. Stattdessen konzentriert sich HelloFresh auf die Reaktivierung von Bestandskunden und die Ansprache von Kundensegmenten, die einen höheren "Customer Lifetime Value" versprechen. Die Kosten für teure Neukundenakquise wurden bereits spürbar reduziert.
- Fokus auf profitable Kunden: Das Unternehmen will sich von unprofitablen Kunden trennen und stattdessen jene binden, die bereit sind, den vollen Preis zu zahlen und dem Dienst langfristig treu bleiben.
- Personaleinsparungen: Im Zuge der Umstrukturierungen kommt es auch zu Stellenstreichungen, um die Verwaltungskosten zu senken.
Dieser Strategiewechsel erklärt auch die Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2025, die viele Analysten überraschte. HelloFresh rechnet mit einem weiteren Umsatzrückgang von 3 % bis 8 %. Gleichzeitig soll das bereinigte operative Ergebnis (EBIT) jedoch von 136 Millionen Euro im Vorjahr auf 200 bis 250 Millionen Euro steigen. Das Unternehmen schrumpft sich also bewusst gesund.
Ein Lichtblick? Profitabilität und Cashflow im Fokus
Trotz des düsteren Bildes bei Umsatz und Aktienkurs gibt es Kennzahlen, die Anlegern Hoffnung machen könnten. Die neue Strategie zeigt bereits erste positive Effekte. Die Deckungsbeitragsmarge – also der Betrag, der nach Abzug der variablen Kosten pro Kochbox übrig bleibt – stieg im ersten Quartal 2025 um 1,3 Prozentpunkte auf starke 27,0 %. Dies zeigt, dass das Kerngeschäft profitabler wird.
Noch wichtiger für die finanzielle Stabilität ist der Free Cashflow. Hier gelang HelloFresh eine beeindruckende Kehrtwende. Nach einem negativen Wert von –6,5 Millionen Euro im Vorjahresquartal erwirtschaftete das Unternehmen im Q1 2025 einen positiven Free Cashflow von 94,3 Millionen Euro. Das bedeutet: Trotz des buchhalterischen Verlusts fließt wieder Geld in die Kasse. Dies verschafft dem Management den nötigen finanziellen Spielraum, um den Umbau ohne die Aufnahme neuer Schulden voranzutreiben.
Das Marktumfeld: Wettbewerb und schwächelnde Konsumlaune
Die Herausforderungen für HelloFresh sind nicht nur hausgemacht. Das Marktumfeld bleibt schwierig. Der Wettbewerb im Bereich der Essenslieferdienste ist intensiv. Neben direkten Konkurrenten wie Marley Spoon oder dem US-Anbieter Blue Apron konkurrieren Kochboxen auch mit dem klassischen Supermarkt, Lieferdiensten wie Lieferando und dem wiederbelebten Gastronomie-Sektor.
Zusätzlich belastet die anhaltend schwache Konsumlaune, insbesondere im wichtigen nordamerikanischen Markt, das Geschäft. Solange die Verbraucher preissensibel bleiben, wird es für HelloFresh eine Herausforderung sein, das Wachstum wieder anzukurbeln, ohne die frisch gewonnene Profitabilität zu opfern.
Kennzahl | Wert |
---|---|
Umsatz Q1 2025 | 1,9 Mrd. EUR (-8,3 % währungsbereinigt) |
Prognose Umsatz 2025 | -3 % bis -8 % |
Prognose bereinigtes EBIT 2025 | 200 bis 250 Mio. EUR |
Deckungsbeitragsmarge Q1 2025 | 27,0 % |
Free Cashflow Q1 2025 | 94,3 Mio. EUR |
Schwerpunkte der Strategie | Effizienz, Profitabilität, Fokus auf margenstarke Kunden |
Die Aktie im Visier: Chancen und Risiken für Anleger
Für Anleger ergibt sich aus dieser Gemengelage ein komplexes Bild mit klaren Chancen, aber auch erheblichen Risiken.
Die Chancen:
- Erfolgreicher Turnaround: Gelingt es dem Management, die Effizienz weiter zu steigern und die Profitabilität nachhaltig zu verbessern, könnte die Aktie massives Aufholpotenzial haben. Die aktuelle Bewertung am Aktienmarkt ist extrem niedrig und preist bereits viele negative Szenarien ein.
- Starker Cashflow: Der positive Free Cashflow sichert die finanzielle Stabilität und macht das Unternehmen weniger anfällig für externe Schocks.
- Marktführerschaft: Trotz der Probleme ist HelloFresh nach wie vor der globale Marktführer im Segment der Kochboxen. Diese Position könnte bei einer Erholung der Konsumlaune ein entscheidender Vorteil sein.
Die Risiken:
- Anhaltender Umsatzschwund: Falls der Umsatz stärker und länger zurückgeht als prognostiziert, könnten die Effizienzgewinne nicht ausreichen, um die Profitabilität zu sichern. Das Schrumpfen darf nicht außer Kontrolle geraten.
- Markenimage: Ein zu starker Rückzug aus dem Marketing und mögliche Qualitätsschwankungen durch die Schließung von Zentren könnten das Markenimage nachhaltig beschädigen.
- Wettbewerbsdruck: Die Konkurrenz schläft nicht. Sollten Wettbewerber aggressive Preisstrategien fahren, könnte HelloFresh erneut unter Druck geraten.
- Keine Garantie für Erfolg: Ein Turnaround ist ein komplexer Prozess. Es besteht keine Garantie, dass die eingeleiteten Maßnahmen den gewünschten Erfolg bringen werden.
Fazit: Ist das Comeback von HelloFresh realistisch?
Die HelloFresh-Aktie ist derzeit eine Wette auf die erfolgreiche Umsetzung einer radikalen strategischen Neuausrichtung. Der Weg vom wachstumsgetriebenen Börsenstar zu einem schlankeren, auf Profitabilität getrimmten Unternehmen ist steinig und mit Unsicherheiten gepflastert. Die zentrale Frage für Anleger ist, ob sie dem Management zutrauen, diesen Wandel zu meistern.
Die positiven Entwicklungen bei der Marge und dem Free Cashflow sind ermutigende erste Signale. Sie zeigen, dass die Hebel in die richtige Richtung bewegt werden. Der Preis für diese Sanierung ist jedoch ein vorerst schrumpfender Umsatz. Die Investment-Story hat sich fundamental gewandelt: Es geht nicht mehr um explosives Wachstum, sondern um die Schaffung eines stabilen, profitablen Fundaments.
Für risikobereite Anleger mit einem langen Atem könnte sich auf dem aktuellen Niveau eine interessante Einstiegschance bieten. Die Aktie ist unbestreitbar günstig, wenn der Turnaround gelingt. Wer jedoch auf eine schnelle Rückkehr zu den glorreichen Tagen des Pandemie-Booms hofft, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Entscheidend werden die kommenden Quartale sein. Investoren sollten genau beobachten, ob es HelloFresh gelingt, den Umsatzschwund zu stabilisieren und gleichzeitig die Profitabilitätsziele zu erreichen. Gelingt dieser Spagat, könnte das Comeback tatsächlich Realität werden.