Evotec am Scheideweg: Comeback-Chance für den Biotech-Pionier?

Nach Kursabsturz und Führungswechsel kämpft Evotec mit einem radikalen Sparprogramm um die Wende. Der Fokus liegt auf der profitablen Biologika-Sparte, die das schwächelnde Kerngeschäft ausgleichen soll. Eine Analyse der Chancen und Risiken des anstehenden Turnarounds.

Veröffentlicht am 04.07.2025

Die Zerreißprobe: Wo Evotec heute steht

Wer die Entwicklung von Evotec in den letzten Jahren verfolgt hat, blickt auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nach Jahren des beeindruckenden Wachstums und der Kurs-Euphorie folgte der tiefe Fall. Ein unerwarteter Wechsel an der Führungsspitze und schwache Geschäftszahlen für das Jahr 2024 ließen den Aktienkurs einbrechen. Das Kerngeschäft, die Auftragsforschung für große Pharma- und Biotech-Unternehmen, offenbarte plötzlich empfindliche Schwächen. Gleichzeitig wurde die Kostenstruktur des Konzerns zum Problem, da sie nicht mehr im Verhältnis zu den erzielten Umsätzen stand.

Diese Gemengelage zwang das neue Management unter der Führung von CEO Dr. Christian Wojczewski zu radikalen Schritten. Das Ergebnis ist ein umfassendes Transformationsprogramm namens „Priority Reset“, das Evotec wieder auf einen profitablen Wachstumskurs bringen soll. Die Kernbotschaft ist klar: Weniger Komplexität, mehr Fokus auf hochprofitable und skalierbare Geschäftsfelder. Damit befindet sich Evotec in einer fundamentalen Neuausrichtung, die über die Zukunft des Unternehmens entscheiden wird. Es ist eine klassische Zerreißprobe zwischen dem alten, kriselnden Geschäftsmodell und den neuen, vielversprechenden Wachstumstreibern.

Das Kerngeschäft unter der Lupe: Shared R&D in der Krise

Das traditionelle Herzstück von Evotec, das Segment „Shared R&D“, ist gleichzeitig auch das größte Sorgenkind. In diesem Bereich agiert das Unternehmen als Forschungs- und Entwicklungspartner für die Pharmaindustrie. Das Geschäftsmodell ist einfach erklärt: Große Konzerne lagern Teile ihrer frühen Wirkstoffforschung an Evotec aus, um Kosten zu sparen und auf spezialisiertes Know-how zuzugreifen. Lange Zeit war dies ein Garant für stabile Einnahmen.

Doch das Marktumfeld hat sich gedreht. Viele Pharma- und Biotech-Unternehmen haben ihre Budgets für die frühe Forschung gekürzt, was direkt auf die Nachfrage nach den Dienstleistungen von Evotec durchschlägt. Die Zahlen für das erste Quartal 2025 sprechen eine deutliche Sprache: Die Umsätze im Shared R&D-Segment sanken um 9 % auf 140,6 Millionen Euro. Noch besorgniserregender ist der Druck auf die Margen. Die Kostenbasis war zu hoch für die gesunkenen Umsätze, was die Profitabilität des gesamten Konzerns massiv belastete. Die eingeleitete Restrukturierung zielt genau auf dieses Problem ab, doch die Stabilisierung dieses wichtigen Bereichs bleibt eine der größten Herausforderungen.

Der Hoffnungsträger: Just – Evotec Biologics als Wachstumsmotor

Während das traditionelle Geschäft schwächelt, keimt an anderer Stelle Hoffnung auf. Die Tochtergesellschaft Just – Evotec Biologics, die sich auf die Entwicklung und Herstellung von Biologika spezialisiert hat, entwickelt sich zunehmend zum Star im Konzernportfolio. Biologika sind komplexe, proteinbasierte Medikamente, deren Herstellung hochanspruchsvoll ist. Just – Evotec Biologics bietet hierfür eine innovative, datengestützte Plattform (J.DESIGN), die den Prozess von der Entwicklung bis zur kommerziellen Produktion deutlich beschleunigen und verbilligen soll.

Der Erfolg dieses Segments ist beeindruckend. Im Geschäftsjahr 2024 schossen die Umsätze hier um 71 % auf 185,6 Millionen Euro in die Höhe. Und der Trend setzt sich fort: Im ersten Quartal 2025 verzeichnete die Sparte ein weiteres Wachstum von 11 %. Diese Dynamik positioniert Evotec nicht mehr nur als Dienstleister, sondern als Technologieanbieter in einem der zukunftsträchtigsten Bereiche der Medizin. Für das Unternehmen ist dies die goldene Chance, die Abhängigkeit vom kriselnden Shared R&D-Geschäft zu verringern und sich auf einer höheren Stufe der Wertschöpfungskette zu etablieren.

Operation Neustart: Das „Priority Reset“-Programm auf dem Prüfstand

Angesichts der Schieflage hat das Management schnell gehandelt. Das im Frühjahr 2025 vorgestellte Programm „Priority Reset“ ist mehr als nur ein Sparprogramm; es ist der Versuch einer strategischen Neuausrichtung. Das erklärte Ziel ist eine jährliche Verbesserung des bereinigten operativen Ergebnisses (EBITDA) um mehr als 40 Millionen Euro. Um dies zu erreichen, werden unrentable Bereiche zurückgefahren, Prozesse gestrafft und die Organisation vereinfacht.

Diese Maßnahmen sind nicht ohne Schmerzen zu haben. Für die Restrukturierung wurden Einmalkosten in Höhe von 54,9 Millionen Euro verbucht. Diese Investition in die Zukunft soll sich jedoch langfristig auszahlen. Der Fokus liegt klar auf der Skalierung der margenstarken Plattformen, insbesondere im Bereich der Biologika. Der Erfolg des Programms wird darüber entscheiden, ob Evotec die Kurve kriegt. Die kommenden Quartalsberichte werden für Anleger zum Lackmustest, ob die angekündigten Effizienzgewinne tatsächlich realisiert werden können.

Die Macht der Allianzen: Partnerschaften als Stabilitätsanker

Ein oft unterschätzter, aber entscheidender Werttreiber für Evotec sind die strategischen Partnerschaften mit großen Pharmakonzernen. Diese Allianzen gehen weit über klassische Kunden-Dienstleister-Beziehungen hinaus. Evotec beteiligt sich oft direkt an der Forschung und erhält im Erfolgsfall Meilensteinzahlungen sowie Lizenzeinnahmen, wenn ein gemeinsam entwickelter Wirkstoff die Marktreife erlangt.

Ein Paradebeispiel ist die Kooperation mit Bristol Myers Squibb (BMS) im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen. Allein im Jahr 2025 hat diese Partnerschaft bereits Zahlungen in Höhe von 75 Millionen US-Dollar an Evotec ausgelöst. Solche Deals sichern nicht nur den Cashflow in unsicheren Zeiten, sondern validieren auch die technologische Kompetenz von Evotec. Sie bilden ein solides Fundament und bieten erhebliches Upside-Potenzial, das unabhängig von der allgemeinen Nachfrage im Dienstleistungsgeschäft realisiert werden kann.

Fakt Detail
Unternehmen Evotec SE
Ticker-Symbol / ISIN EVT / DE0005664809
Sektor Biotechnologie / Pharma
Vorstandsvorsitzender (CEO) Dr. Christian Wojczewski (seit Januar 2025)
Kerngeschäftsfelder Shared R&D (Wirkstoffforschung), Just – Evotec Biologics (Biologika-Produktion)
Umsatzprognose 2025 840 – 880 Millionen Euro
EBITDA-Prognose 2025 (bereinigt) 30 – 50 Millionen Euro
Langfristziel (bis 2028) Umsatzwachstum (CAGR) von 8-12 %, EBITDA-Marge >20 %

Chancen und Risiken für Anleger: Eine nüchterne Abwägung

Für Investoren stellt sich die Lage komplex dar. Die Bewertung der Aktie ist nach dem Kurssturz auf einem Niveau, das bei einer erfolgreichen Trendwende erhebliches Kurspotenzial verspricht. Die entscheidenden Faktoren müssen jedoch sorgfältig abgewogen werden.

Die größten Chancen:

  1. Wachstum bei Biologika: Das Segment Just – Evotec Biologics ist der unbestrittene Wachstumsmotor. Gelingt hier die weitere Skalierung, könnte es die Schwächen im Altgeschäft mehr als kompensieren.
  2. Erfolgreicher Turnaround: Wenn das „Priority Reset“-Programm greift und die angestrebten Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen realisiert werden, könnte die Profitabilität deutlich schneller als erwartet zurückkehren.
  3. Unbewertete Pipeline: Durch die zahlreichen Partnerschaften und eigenen Forschungsansätze verfügt Evotec über eine breite Pipeline an potenziellen Wirkstoffen, deren Wert im aktuellen Kurs kaum eingepreist sein dürfte.
  4. Marktposition: Trotz der Krise verfügt Evotec über eine breite technologische Basis und eine globale Präsenz, die einen klaren Wettbewerbsvorteil darstellen.

Die größten Risiken:

  1. Anhaltende Schwäche im Kerngeschäft: Sollte sich die Nachfrage im Shared R&D-Segment nicht stabilisieren, könnte dies die Erfolge aus anderen Bereichen zunichtemachen.
  2. Execution Risk: Große Restrukturierungsprogramme bergen immer das Risiko, dass sie nicht die gewünschten Effekte erzielen oder zu interner Unruhe führen und die Innovationskraft lähmen.
  3. Abhängigkeit von Partnern: Der Erfolg vieler Projekte hängt vom Wohlwollen und den strategischen Entscheidungen der großen Pharmapartner ab. Eine Beendigung einer wichtigen Kooperation wäre ein herber Schlag.
  4. Branchenvolatilität: Die Biotech-Branche ist generell von externen Faktoren wie dem Zinsumfeld, der generellen Investitionsbereitschaft und regulatorischen Hürden abhängig.

Fazit: Ist die Evotec-Aktie ein Kauf? Ein Blick in die Kristallkugel

Evotec steht zweifellos am Scheideweg. Der Weg zurück zu altem Glanz ist steinig, aber das Management hat eine klare Strategie vorgelegt, um die Wende zu schaffen. Die Transformation weg von einem reinen Dienstleister hin zu einem Technologieanbieter mit Fokus auf hochprofitable Plattformen wie Just – Evotec Biologics ist der einzig richtige Schritt.

Für Anleger ist die Evotec-Aktie derzeit eine Wette auf den Erfolg dieser Transformation. Es ist ein klassisches High-Risk-High-Reward-Investment. Wer an die Fähigkeit des Managements glaubt, das Ruder herumzureißen, und bereit ist, kurzfristige Volatilität auszuhalten, könnte mit dem aktuellen Kursniveau einen attraktiven Einstiegspunkt finden. Die langfristigen Ziele bis 2028 – ein jährliches Umsatzwachstum von 8-12 % und eine EBITDA-Marge von über 20 % – sind ambitioniert, aber bei Gelingen des Neustarts nicht unrealistisch.

Eine endgültige Kaufempfehlung kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Entscheidend werden die kommenden 12 bis 18 Monate sein. In diesem Zeitraum muss Evotec beweisen, dass die Restrukturierung Früchte trägt, die Profitabilität zurückkehrt und der Wachstumsmotor Biologics auf Hochtouren läuft. Gelingt dies, hat der Biotech-Pionier eine realistische Chance, sein eigenes, beeindruckendes Comeback zu inszenieren.

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