AT&S: Wendepunkt für Leiterplatten-Spezialisten aus Österreich?

Oberflächlich starke Finanzergebnisse bei AT&S verschleiern Herausforderungen im Kerngeschäft. Mit neuer Führung und strategischer Neuausrichtung positioniert sich der Konzern für den KI-Boom, muss aber zyklische Risiken und Preisdruck meistern. Eine tiefgehende Analyse der Weichenstel

Veröffentlicht am 16.06.2025

Eine Momentaufnahme: Die Finanzergebnisse im Detail

Ein Blick auf die Zahlen des abgelaufenen Geschäftsjahres 2024/25, das im März endete, zeichnet ein komplexes Bild. Auf den ersten Blick wirken die Ergebnisse beeindruckend. Der Umsatz konnte trotz eines schwierigen Marktumfelds um 3 Prozent auf 1,59 Milliarden Euro gesteigert werden. Noch markanter fällt der Sprung beim operativen Ergebnis aus: Das EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) schoss um 97 Prozent auf 606 Millionen Euro in die Höhe. Das Konzernergebnis drehte von einem Verlust von 37 Millionen Euro im Vorjahr auf einen soliden Gewinn von 90 Millionen Euro.

Eine genauere Analyse offenbart jedoch, dass dieser Gewinnsprung maßgeblich von einem Sondereffekt getragen wurde: dem Verkauf des Werks im südkoreanischen Ansan. Ohne diesen Einmaleffekt hätte das operative Ergebnis die zugrundeliegenden Herausforderungen des Marktes widergespiegelt. Das Kerngeschäft sah sich mit erheblichem Preisdruck und einer nachlassenden Nachfrage in wichtigen Segmenten konfrontiert. Insbesondere die Bereiche Automotive und Industrial litten unter dem Abbau hoher Lagerbestände bei den Kunden, was die Bestellungen bremste. Auch der Markt für klassische Server-Infrastruktur zeigte Schwäche. Diese Faktoren verdeutlichen, dass der operative Turnaround noch nicht vollständig vollzogen ist und die Profitabilität aus dem Kerngeschäft unter Druck steht.

Strategische Neuausrichtung unter neuer Führung

Der wohl bedeutendste Indikator für einen strategischen Wandel war der Wechsel an der Unternehmensspitze. Im Mai 2025 übernahm Michael Mertin den Posten des Vorstandsvorsitzenden von Andreas Gerstenmayer, der das Unternehmen über viele Jahre erfolgreich geführt hatte, seinen Abschied im Herbst 2024 aber überraschend ankündigte. Dieser Führungswechsel wird am Markt als klares Signal für eine Neuausrichtung und eine frischere Perspektive auf die anstehenden Herausforderungen gewertet.

Die neue Führungsmannschaft reagierte prompt auf das unsichere Umfeld. Bestehende Effizienzprogramme wurden intensiviert und ein stärkerer Fokus auf Kostenkontrolle gelegt. Der entscheidende Schritt war jedoch die Anpassung der Mittelfristprognose. Ursprünglich peilte das Unternehmen für das Geschäftsjahr 2026/27 einen Umsatz von rund 3,0 Milliarden Euro an. Diese ambitionierte Zielmarke wurde nun auf eine realistischere Spanne von 2,1 bis 2,4 Milliarden Euro korrigiert. Anstatt als negatives Signal aufgenommen zu werden, werteten viele Analysten diesen Schritt als Zeichen von Transparenz und pragmatischem Management. Es signalisiert den Willen, die Erwartungen des Kapitalmarktes realistisch zu steuern und Enttäuschungen zu vermeiden – eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme in volatilen Zeiten.

Die globalen Megatrends: Fluch und Segen zugleich

Die Zukunft von AT&S ist untrennbar mit den globalen technologischen Megatrends verbunden. An vorderster Front steht hier die Revolution der künstlichen Intelligenz. Während die Nachfrage nach klassischen Servern abflaut, explodiert der Bedarf an spezialisierter Hardware für KI-Anwendungen. Genau hier liegt die größte Chance für AT&S. Das Unternehmen ist einer der wenigen Hersteller weltweit, der hochkomplexe IC-Substrate fertigen kann. Diese Substrate sind die entscheidende Verbindung zwischen den leistungsstarken KI-Chips, etwa von Nvidia oder AMD, und der Leiterplatte. Sie ermöglichen die extrem hohen Datenübertragungsraten, die für KI-Modelle unabdingbar sind. Der KI-Boom ist somit ein potenzieller Segen und der wichtigste Wachstumstreiber für die kommenden Jahre.

Gleichzeitig muss das Unternehmen eine kluge Diversifizierung seiner Endmärkte managen. Die Abhängigkeit vom volatilen Smartphone-Markt konnte in den letzten Jahren reduziert werden, doch andere Segmente bringen eigene Zyklen mit sich.

  • Client Computing: Der Markt für PCs und Laptops zeigt nach einer längeren Schwächephase erste Anzeichen einer Erholung, was die Nachfrage nach entsprechenden Komponenten stützt.
  • Automotive & Industrial: Diese Sektoren bleiben kurzfristig ein Sorgenkind. Hohe Lagerbestände bei den Kunden bremsen die Nachfrage, auch wenn der langfristige Trend zu mehr Elektronik im Auto und in der Industrieautomation ungebrochen ist.
  • Medizintechnik: Ein stabiler, wenn auch kleinerer Markt, in dem AT&S mit hochzuverlässigen Produkten punktet.

Die Kunst für das Management besteht darin, die Schwäche in einigen Bereichen durch die Stärke in anderen, insbesondere dem KI-Segment, auszugleichen und die Produktionskapazitäten flexibel zu steuern.

Geopolitik und globale Präsenz: Das strategische Puzzle

Die globale Produktionsstrategie von AT&S ist ein weiterer entscheidender Faktor für den zukünftigen Erfolg. Das Unternehmen betreibt hochmoderne Werke an strategisch wichtigen Standorten, was sowohl Chancen als auch Risiken birgt. Das Werk im chinesischen Chongqing bleibt ein zentraler Pfeiler für die Produktion von IC-Substraten in großen Stückzahlen. Gleichzeitig ist die starke Präsenz in China angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Handelskonflikte oder technologische Entkopplung könnten die Lieferketten empfindlich stören.

Als Antwort auf dieses Risiko und zur Erschließung neuer Kapazitäten dient die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte: das neue Werk im malaysischen Kulim. Hier entsteht ein hochmoderner Campus zur Fertigung von IC-Substraten der nächsten Generation. Der Standort in Malaysia diversifiziert nicht nur die geografische Präsenz, sondern bringt AT&S auch näher an wichtige Kunden im südostasiatischen Chip-Ökosystem. Diese strategische Investition sichert die Technologieführerschaft und schafft die notwendigen Kapazitäten, um die erwartete Nachfrage aus dem KI-Sektor zu bedienen.

Der Heimatstandort in Leoben, Österreich, bleibt dabei das Herzstück für Forschung und Entwicklung. Hier werden die Grundlagen für die technologischen Innovationen gelegt, die dem Unternehmen seinen Wettbewerbsvorteil sichern. Diese Kombination aus globaler Produktion und zentralisierter F&E-Stärke ist ein wesentlicher Baustein der Zukunftsstrategie.

Fakt Information
CEO Michael Mertin (seit Mai 2025)
Hauptsitz Leoben, Steiermark, Österreich
Schlüsselprodukte High-End-Leiterplatten, IC-Substrate
Wichtige Endmärkte Mobile Endgeräte, Automotive, Industrial, Medizintechnik, Computing (insb. KI)
Börsenkürzel (Ticker) ATS (Wiener Börse)
Umsatz (GJ 2024/25) 1,59 Mrd. EUR
Strategische Großinvestition Neues Werk für IC-Substrate in Kulim, Malaysia

Chancen und Risiken für Anleger: Eine nüchterne Bewertung

Für Anleger ergibt sich aus der aktuellen Gemengelage ein differenziertes Bild mit klaren Chancen, aber auch unübersehbaren Risiken.

Die Chancen:

  1. Technologieführerschaft: AT&S agiert in einem Markt mit hohen Eintrittsbarrieren. Die Expertise in der Herstellung komplexer IC-Substrate sichert dem Unternehmen einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil.
  2. KI als Wachstumsmotor: Die Positionierung als Schlüssellieferant für die KI-Industrie bietet enormes Wachstumspotenzial, das viele andere Sektoren in den Schatten stellen könnte.
  3. Strategische Weitsicht: Die Investition in Malaysia diversifiziert die Produktion und schafft Kapazitäten für zukünftiges Wachstum. Die realistischere Prognose schafft Vertrauen am Kapitalmarkt.
  4. Potenzielle Unterbewertung: Sollte der Markt die langfristigen Chancen stärker einpreisen, könnte die Aktie nach der jüngsten Schwächephase erhebliches Aufholpotenzial besitzen.

Die Risiken:

  1. Zyklizität der Branche: Die Halbleiterindustrie ist bekannt für ihre ausgeprägten Zyklen aus Auf- und Abschwüngen. Eine länger als erwartete Schwächephase könnte die Erholung verzögern.
  2. Anhaltender Preisdruck: Der Wettbewerb, insbesondere aus Asien, ist intensiv und könnte die Margen weiter unter Druck setzen.
  3. Geopolitische Unsicherheiten: Handelskonflikte oder Restriktionen könnten die globalen Lieferketten und den Marktzugang von AT&S beeinträchtigen.
  4. Hoher Investitionsbedarf: Der Bau des Werks in Kulim erfordert hohe Investitionen (Capex), die den Cashflow kurz- bis mittelfristig belasten, bevor sie Erträge abwerfen.

Fazit: Ist der Wendepunkt erreicht?

AT&S befindet sich zweifellos an einem Wendepunkt. Dieser ist jedoch weniger als abrupte Kehrtwende, sondern vielmehr als eine bewusste strategische Neuausrichtung zu verstehen. Das Unternehmen hat die Herausforderungen des Marktes erkannt und reagiert proaktiv: mit einer neuen, pragmatischen Führung, strenger Kostenkontrolle und einer klaren Fokussierung auf den vielversprechendsten Wachstumsmarkt – die künstliche Intelligenz.

Der Weg in die Zukunft wird nicht frei von Hindernissen sein. Die kurzfristigen Herausforderungen in den Märkten für Automotive und Industrie bleiben bestehen, und die geopolitischen Risiken sind eine konstante Variable. Der Erfolg hängt maßgeblich von der disziplinierten Umsetzung der neuen Strategie und dem Timing des nächsten großen Aufschwungs im Halbleiterzyklus ab. Für Anleger bedeutet dies, dass Geduld gefragt ist. Der strategische Wendepunkt ist eingeleitet, doch der operative und finanzielle Turnaround wird Zeit benötigen. Wer jedoch an die technologische Führungsposition von AT&S und den unaufhaltsamen Vormarsch der KI glaubt, könnte die aktuelle Phase als eine attraktive Gelegenheit für einen langfristig orientierten Einstieg betrachten.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

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