TotalEnergies: Ölriese, Windkraft-Pionier – Nachhaltige Dividende?

TotalEnergies investiert Milliarden in erneuerbare Energien und formt einen grünen Giganten. Doch wie glaubwürdig ist die Transformation des Ölkonzerns? Eine Analyse des Spagats zwischen ambitionierter Zukunftsstrategie, dem profitablen fossilen Erbe und der nachhaltigen Dividende.

Veröffentlicht am 30.06.2025

Die grüne Offensive: Milliarden-Investitionen formen einen neuen Giganten

Man kann TotalEnergies viel vorwerfen, aber nicht, dass der Konzern seine Ambitionen im Bereich der erneuerbaren Energien versteckt. Die Zahlen sind beeindruckend und zeugen von einer klaren strategischen Ausrichtung. Allein im laufenden Jahr 2025 hat das Unternehmen sein Portfolio an grünen Projekten signifikant erweitert. Verträge über Solar- und Windprojekte mit einer Gesamtleistung von 15 Gigawatt (GW) in Europa, der Erwerb von 800 Megawatt (MW) in Kanada und der Ausbau in Afrika mit 255 MW zeigen, dass die Expansion global und technologieübergreifend stattfindet.

Besonders im Fokus steht die Offshore-Windkraft, die Königsdisziplin der erneuerbaren Energien. Hier will TotalEnergies eine führende Rolle einnehmen. Die Ziele sind klar definiert: Bis 2025 soll die installierte Bruttokapazität aus erneuerbaren Quellen auf 35 GW anwachsen. Bis 2030 plant der Konzern, die Stromerzeugung aus diesen Quellen auf über 100 Terawattstunden (TWh) zu steigern und sich unter den Top 5 der weltweiten Produzenten von Wind- und Solarstrom zu etablieren. Mitte 2023 lag die installierte Kapazität bereits bei beachtlichen 19 GW – der Weg scheint vorgezeichnet.

Um diese Transformation zu beschleunigen, setzt TotalEnergies nicht nur auf organisches Wachstum, sondern auch auf strategische Übernahmen. Insbesondere in Deutschland hat der Konzern seine Präsenz massiv gestärkt:

  1. Übernahme der VSB Gruppe: Ein führender europäischer Entwickler für Wind- und Solarprojekte, der die Projektpipeline von TotalEnergies erheblich füllt.
  2. Akquisition von Kyon Energy: Ein Spezialist für Batteriespeicher, der für die Stabilisierung der Stromnetze und die effektive Nutzung erneuerbarer Energien unerlässlich ist.
  3. Kauf von Quadra Energy: Ein Händler für erneuerbare Energien, der das integrierte Stromgeschäft vom Erzeuger bis zum Endkunden abrundet.

Diese Zukäufe zeigen, dass es dem Unternehmen nicht nur um die reine Stromerzeugung geht. TotalEnergies baut eine vollständig integrierte Wertschöpfungskette im Stromsektor auf. Diese Strategie könnte sich als entscheidender Wettbewerbsvorteil erweisen, da sie das Unternehmen weniger abhängig von schwankenden Strommarktpreisen macht und stabile, planbare Erträge ermöglicht.

Die andere Seite der Medaille: Das schwere fossile Erbe

So beeindruckend die grüne Expansion auch ist, ein Blick auf die Gesamtbilanz des Konzerns relativiert das Bild. TotalEnergies ist und bleibt auf absehbare Zeit ein Unternehmen, dessen Profitabilität fundamental vom Öl- und Gasgeschäft abhängt. Kritiker weisen zu Recht darauf hin, dass der Anteil der Investitionen in kohlenstoffarme Energien zwar steigt, aber im Verhältnis zu den Gesamtausgaben noch immer überschaubar ist. Branchenweit liegt dieser Anteil oft noch unter 25 %. Der überwiegende Teil des Kapitals fließt weiterhin in die Exploration und Förderung fossiler Brennstoffe.

Diese Abhängigkeit schafft ein Spannungsfeld. Einerseits generiert das traditionelle Geschäft die enormen Cashflows, die für die Finanzierung der grünen Transformation und die großzügige Dividende notwendig sind. Andererseits birgt es immense Risiken. Die Geschäftstätigkeit ist stark von den volatilen Preisen auf den globalen Energiemärkten und von geopolitischen Unwägbarkeiten geprägt. Projekte in politisch instabilen Regionen können zwar hohe Renditen versprechen, bergen aber auch das Risiko von Ausfällen, Sanktionen oder Verstaatlichungen.

Das größte strategische Risiko sind jedoch die sogenannten „stranded assets“. Damit sind Öl- und Gasreserven sowie die dazugehörige Infrastruktur gemeint, die im Zuge einer beschleunigten globalen Klimapolitik wertlos werden könnten. Wenn Regierungen weltweit strengere CO₂-Preise einführen oder den Verbrauch fossiler Brennstoffe drastisch einschränken, könnten milliardenschwere Investitionen von heute zu den Abschreibungen von morgen werden. Für Anleger ist dies ein schwer kalkulierbares Risiko.

Die Dividende: Fels in der Brandung oder auf Sand gebaut?

Für viele Anleger ist die Dividende der wichtigste Grund, in TotalEnergies zu investieren. Der Konzern ist bekannt für seine verlässliche und attraktive Ausschüttungspolitik. Doch wie nachhaltig ist diese Dividende wirklich? Kurz- und mittelfristig scheint sie durch die hohen Gewinne aus dem Öl- und Gasgeschäft gesichert. Das Unternehmen nutzt diese Erträge nicht nur für Investitionen, sondern auch für Aktienrückkaufprogramme und Dividendenzahlungen, was den Aktienkurs stützt.

Langfristig hängt die Nachhaltigkeit der Dividende jedoch davon ab, ob der Wandel zum Multi-Energiekonzern gelingt. Die entscheidende Frage lautet: Können die Gewinne aus dem Strom- und Erneuerbare-Energien-Geschäft die absehbar sinkenden Erträge aus dem fossilen Sektor rechtzeitig kompensieren? Die Margen im Stromgeschäft sind traditionell niedriger als im Öl- und Gasgeschäft. Der Erfolg von TotalEnergies wird daher davon abhängen, ob es dem Konzern gelingt, durch seine integrierte Strategie und Skaleneffekte überdurchschnittliche Renditen im grünen Sektor zu erzielen. Gelingt dies nicht, könnte die Dividende in Zukunft unter Druck geraten.

Die Glaubwürdigkeitsfrage: Echte Transformation oder Greenwashing?

Trotz aller Fortschritte wird TotalEnergies von Umweltorganisationen und kritischen Investoren regelmäßig des Greenwashings bezichtigt. Der Vorwurf lautet, dass die grüne Kommunikation in keinem Verhältnis zur Realität der Geschäftsaktivitäten stehe. Zwar hat sich das Unternehmen wie viele Wettbewerber zum Ziel bekannt, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Doch der Weg dorthin ist mit vielen Fragezeichen versehen.

Kritiker monieren, dass die Expansionspläne für neue Öl- und Gasprojekte, insbesondere im Bereich Flüssigerdgas (LNG), nicht mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind. Zudem werden die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Großprojekten in sensiblen Regionen, etwa in Afrika oder der Arktis, scharf kritisiert. Die Transparenz der Nachhaltigkeitsberichte wird ebenfalls infrage gestellt. Oftmals werden die Emissionen aus den verkauften Produkten (Scope-3-Emissionen), die den Löwenanteil ausmachen, nur unzureichend adressiert.

Für Anleger ist diese Glaubwürdigkeitslücke ein nicht zu unterschätzendes Reputationsrisiko. In einer Welt, in der ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) für institutionelle Investoren immer wichtiger werden, könnten Unternehmen mit einem zweifelhaften Ruf zunehmend aus den Portfolios ausgeschlossen werden. Dies würde den Druck auf den Aktienkurs erhöhen.

TotalEnergies: Fakten im Überblick (Stand: 30.06.2025)
Kennzahl Wert / Ziel
Marktkapitalisierung (ca.) ~ 150 Mrd. EUR
Dividendenrendite (ca.) ~ 5,0 %
Ziel installierte Kapazität Erneuerbare (2025) 35 GW
Ziel Stromerzeugung Erneuerbare (2030) > 100 TWh
Anteil Investitionen in Low-Carbon (ca.) 25-30 % der Gesamtinvestitionen
Netto-Null-Ziel (Scope 1+2) 2050 (weltweit)

Fazit: Ein Investment für mutige Brückenbauer?

TotalEnergies ist zweifellos eines der spannendsten Unternehmen im Energiesektor. Der Konzern hat sich früher und konsequenter als viele seiner Wettbewerber auf den Weg der Transformation begeben. Die Strategie, ein integrierter Multi-Energiekonzern zu werden, ist visionär und könnte das Unternehmen langfristig erfolgreich positionieren.

Gleichzeitig sind die Risiken nicht von der Hand zu weisen. Die Abhängigkeit vom fossilen Geschäft, die Gefahr von „stranded assets“ und die ständige Kritik des Greenwashings schaffen ein unsicheres Umfeld. Ein Investment in TotalEnergies ist daher keine Wette auf ein reines „grünes“ Unternehmen, sondern eine Wette auf die Fähigkeit des Managements, eine der größten industriellen Transformationen der Geschichte erfolgreich zu meistern.

Anleger, die heute in TotalEnergies investieren, sind Brückenbauer. Sie finanzieren mit ihrem Kapital den Übergang von der alten in die neue Energiewelt. Sie profitieren von der hohen Dividende, die aus dem fossilen Erbe gespeist wird, und hoffen darauf, dass das grüne Fundament rechtzeitig stark genug wird, um das gesamte Gebäude in Zukunft zu tragen. Ob diese Brücke stabil genug ist, um die Stürme der kommenden Jahre zu überstehen, wird die Zeit zeigen. Es ist eine Wette für Anleger mit Weitsicht, starken Nerven und dem Glauben daran, dass selbst ein Ölriese sich neu erfinden kann.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

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