Das Comeback der Banken: Höhere Zinsen beflügeln Europas Geldhäuser

Das Comeback der Banken ist da. Angetrieben von der Zinswende, sprudeln die Gewinne dank massiv ausgeweiteter Zinsmargen. Wir analysieren die Mechanik des Erfolgs, die lauernden Risiken und die neuen Chancen für Anleger.

Veröffentlicht am 27.06.2025

Die Mechanik des Erfolgs: Wie die Zinswende die Gewinne antreibt

Um das Comeback der Banken zu verstehen, muss man ihr Kerngeschäft betrachten: die Transformation von kurzfristigen Einlagen in langfristige Kredite. In einfachen Worten leihen sich Banken Geld von Sparern (Einlagen) und verleihen dieses Geld zu einem höheren Zinssatz an Unternehmen und Privatpersonen (Kredite). Die Differenz zwischen dem Zins, den sie zahlen, und dem Zins, den sie einnehmen, ist die sogenannte Zinsmarge. Sie ist die wichtigste Einnahmequelle und wird in der Bilanz als Nettozinsergebnis (auch Zinsüberschuss) ausgewiesen.

In der Niedrigzinsphase war diese Marge extrem komprimiert. Da die Leitzinsen nahe null oder sogar negativ waren, konnten Banken für Kredite kaum Zinsen verlangen, mussten aber gleichzeitig um die Einlagen der Kunden konkurrieren. Mit der Zinswende hat sich dieses Bild dramatisch verändert. Die Banken konnten die Zinssätze für neue Kredite – seien es Hypotheken, Unternehmensdarlehen oder Konsumkredite – schnell an das neue, höhere Zinsniveau anpassen. Gleichzeitig gaben sie die gestiegenen Zinsen nur zögerlich und teilweise an die Sparer weiter. Das Ergebnis war eine massive Ausweitung der Zinsmarge. Plötzlich wurde das klassische, oft als langweilig abgetane Bankgeschäft wieder hochprofitabel. Die jüngsten Daten aus dem ersten Quartal 2025 bestätigen diesen Trend: Viele europäische Großbanken meldeten erneut einen Anstieg des Nettozinsergebnisses, obwohl der Zinsgipfel bereits erreicht scheint.

Nicht alle Geschäftsfelder profitieren gleichermaßen

Während das Einlagen- und Kreditgeschäft der klare Hauptprofiteur der Zinswende ist, zeigen sich in anderen Sparten des Bankwesens gemischte Effekte. Ein genauerer Blick lohnt sich:

  1. Klassisches Privat- und Firmenkundengeschäft: Dies ist der unangefochtene Gewinner. Die Fähigkeit, die Zinsmarge auszuweiten, hat die Erträge direkt in die Höhe schnellen lassen. Institute mit einem starken Fokus auf dieses Segment, wie viele Sparkassen, Genossenschaftsbanken und auch einige Großbanken, erleben derzeit goldene Zeiten.
  2. Investmentbanking: Dieser Bereich ist traditionell volatiler und stärker von der allgemeinen Marktstimmung abhängig. Während ein stabiles wirtschaftliches Umfeld das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen (M&A) sowie Börsengängen (IPOs) beflügeln kann, führen höhere Zinsen und wirtschaftliche Unsicherheit oft zu einer Abkühlung. Die Erträge im Investmentbanking konnten daher nicht im gleichen Maße mit dem Zinsüberschuss mithalten.
  3. Vermögensverwaltung (Asset Management): Die Vermögensverwaltung profitiert indirekt. Ein positives Marktumfeld und steigende Aktienkurse erhöhen das verwaltete Vermögen (Assets under Management), was wiederum zu höheren Gebühreneinnahmen führt. Die direkten Auswirkungen der Zinswende sind hier jedoch geringer als im Kreditgeschäft.
  4. Eigenhandel und Treasury: Die Abteilungen, die die Liquidität der Bank steuern und mit eigenen Mitteln an den Finanzmärkten handeln, können von höheren Zinsen ebenfalls profitieren. Überschüssige Liquidität kann nun wieder gewinnbringend bei der Zentralbank oder am Interbankenmarkt angelegt werden.

Die Kehrseite der Medaille: Neue Risiken am Horizont

Der Jubel über die sprudelnden Gewinne darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das neue Zinsumfeld auch erhebliche Risiken birgt. Vorausschauende Bankmanager und Investoren haben diese Gefahren genau im Blick, denn sie könnten das Comeback schnell wieder beenden.

Das größte Risiko ist zweifellos das Kreditrisiko. Höhere Zinsen belasten die Schuldner. Unternehmen müssen für Investitionskredite mehr bezahlen, was ihre Profitabilität schmälert. Privatpersonen sehen sich mit teureren Hypotheken und Ratenkrediten konfrontiert. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen. Sollte die Konjunktur in Europa deutlicher ins Stocken geraten, könnte eine Welle von Insolvenzen die Bilanzen der Banken schwer belasten. Die Institute reagieren darauf bereits mit einer Verschärfung der Kreditvergabestandards, was wiederum das Wirtschaftswachstum bremsen kann – ein Teufelskreis.

Ein weiteres, oft unterschätztes Risiko ist das Zinsänderungsrisiko in den eigenen Büchern der Banken. Der Kollaps der Silicon Valley Bank in den USA im Jahr 2023 war ein Lehrstück dafür. Die Bank hatte in der Niedrigzinsphase massiv in langlaufende Staatsanleihen mit niedriger Verzinsung investiert. Als die Zinsen stiegen, brach der Marktwert dieser Anleihen ein. Zwar müssen diese Verluste nicht realisiert werden, solange die Anleihen bis zur Fälligkeit gehalten werden. Benötigt eine Bank aber kurzfristig Liquidität und muss verkaufen, werden aus Buchverlusten reale Verluste. Europäische Banken sind in der Regel breiter diversifiziert, doch das Grundrisiko bleibt bestehen.

Zuletzt verschärft sich der Wettbewerb um die Einlagen. Nachdem die Banken die Zinsvorteile lange für sich behalten haben, wächst der Druck, höhere Zinsen an die Sparer weiterzugeben. Neobanken und ausländische Institute locken mit attraktiven Tages- und Festgeldangeboten. Um einen Abfluss von Kundengeldern zu verhindern, müssen die etablierten Banken nachziehen. Dies wird die Zinsmargen in den kommenden Quartalen voraussichtlich wieder etwas schrumpfen lassen.

Fakt Beschreibung
Zentraler Gewinntreiber Das Nettozinsergebnis (NII), also die Differenz zwischen eingenommenen Kreditzinsen und gezahlten Einlagenzinsen, ist die Hauptquelle der gestiegenen Profitabilität.
Hauptrisiko Steigende Kreditausfälle aufgrund der höheren Zinslast für Unternehmen und private Haushalte. Eine schwache Konjunktur würde dieses Risiko verstärken.
Rolle der EZB Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist der entscheidende externe Faktor. Jede Zinsentscheidung hat direkte Auswirkungen auf die Ertragslage der Banken.
Regionale Unterschiede Die Profitabilität und Risikobereitschaft variieren stark zwischen den Ländern der Eurozone, abhängig von der lokalen Wirtschaftsstruktur und dem Wettbewerbsumfeld.
Ausblick für Anleger Trotz der guten Performance bleibt eine sorgfältige Analyse der Fundamentaldaten (z.B. Kapitalquoten, Bewertung) entscheidend. Nicht alle Banken sind gleich gut aufgestellt.

Chancen für Anleger, Herausforderungen für Verbraucher

Für Anleger hat sich der Blick auf den Bankensektor grundlegend geändert. Nachdem die Aktien jahrelang als unterbewertet galten, haben sie eine beeindruckende Rally hingelegt. Ein Einstieg will daher gut überlegt sein. Wichtige Kennzahlen für die Bewertung sind neben dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) vor allem das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), da es das Eigenkapital der Bank berücksichtigt. Viele europäische Banken notieren immer noch unter ihrem Buchwert, was auf eine potenziell günstige Bewertung hindeutet. Zudem sind die Dividendenrenditen oft attraktiv. Anleger sollten jedoch nicht blind zugreifen, sondern auf eine solide Eigenkapitalausstattung (erkennbar an der harten Kernkapitalquote, CET1) und ein kluges Risikomanagement achten. Wer das Einzelrisiko scheut, kann über ETFs in den gesamten europäischen Bankensektor investieren.

Für Verbraucher ist die Lage ambivalent. Sparer sind die klaren Gewinner. Nach Jahren der Dürre werfen Tages- und Festgeldkonten wieder ansehnliche Zinsen ab. Ein aktiver Vergleich der Angebote lohnt sich mehr denn je. Kreditnehmer hingegen stehen auf der Verliererseite. Die Finanzierung von Immobilien ist deutlich teurer geworden, und auch die Zinsen für Konsum- und Dispokredite sind gestiegen. Wer Kredite mit variabler Verzinsung hat, spürt die Belastung direkt. Bei Neuabschlüssen ist eine möglichst lange Zinsbindung ratsam, um sich gegen zukünftige Zinsschwankungen abzusichern.

Fazit: Ein nachhaltiges Comeback mit Vorbehalten

Das Comeback der europäischen Banken ist keine Fata Morgana, sondern eine logische Folge der geldpolitischen Normalisierung. Die Institute haben bewiesen, dass ihr klassisches Geschäftsmodell in einem Umfeld positiver Zinsen hochprofitabel sein kann. Die gestärkte Ertragskraft ermöglicht es ihnen, Kapitalpuffer aufzubauen, in die Digitalisierung zu investieren und attraktive Dividenden auszuschütten.

Dennoch wäre es naiv, von einer neuen, ungetrübten goldenen Ära zu sprechen. Die Nachhaltigkeit des Aufschwungs hängt entscheidend von der Entwicklung der Konjunktur und der Fähigkeit der Banken ab, die neu entstandenen Kreditrisiken zu managen. Der Zinsgipfel scheint erreicht, und der zunehmende Wettbewerb um Spareinlagen wird die Margen wieder etwas unter Druck setzen. Die strukturellen Herausforderungen durch Fintechs, den Regulierungsdruck (Stichwort Basel IV) und den digitalen Wandel bleiben bestehen.

Für den Moment hat der Sektor jedoch die Fesseln der Nullzinspolitik abgestreift und sich als robuster und relevanter Akteur im europäischen Wirtschaftsgefüge zurückgemeldet. Die Banken sind zurück im Spiel – wachsamer, profitabler und für Anleger wieder deutlich interessanter als noch vor wenigen Jahren.

* Enthält bezahlte Werbelinks .

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